Der neue Ultramontanismus & die Kirchensteuer

Im Umbruch vom 19. zum 20. Jahrhundert entstand der Ultramontanismus. Die dahinterstehende Ideologie in überspitzter Kurzform: „Alles, was NICHT aus Rom kommt, ist tendenziell häresieverdächtig, schlecht und böse.“ Logischerweise gibt es auch eine passende Gegenideologie: „Alles, was aus Rom kommt, ist tendenziell verschroben, altmodisch, schlecht und böse.“ Beide Extremansichten haben mehr miteinander zu tun als ihnen lieb ist…

Im beginnenden 3. Jahrtausend erleben der Ultramontanismus und sein Gegenstück einen neuen Höhepunkt: Sowohl rechtskonservative als auch linkspolitische Randgruppen innerhalb der Kirchen vernetzen sich (vor allem im WWW) und melden sich mit Nachdruck zu Wort. Sehr gut beobachten lässt sich das an der aktuellen Diskussion um die Kirchensteuer (hier, hier  und hier; den letzten Artikel finde ich recht gut).

Vorneweg: Jeglicher Dialog mit einer der beiden Seiten ist zum Scheitern verurteilt, da mit Ideologen kein Konsens zu finden ist. Zudem ist ein zielführender auf dem Austausch und Beurteilen von Argumenten basierender Diskurs nicht möglich. Ideologien, so der Philosoph Karl Popper, gründen im dogmatischen Behaupten absoluter Wahrheiten, haben eine Tendenz zur Immunisierung gegen Kritik, sind oftmals durchdrungen von verschwörungstheoretischem Gedankengut, gründen auf utopische Harmonieideale und stellen starre Werturteile auf (mehr zur Idologiekritik z.B. hier).

Der Streit um die Kirchensteuer

Das „Problem“ der ultramontanistischen Seite mit der Kirchensteuer lässt sich wie folgt zusammenfassen: Man ist davon überzeugt, dass die „deutsche“ Kirche sich schon lange von Rom getrennt hat. Sie sei nicht gehorsam, nicht fromm, aufmüpfig, ungläubig und von Ketzerei durchdrungen. Also müsste es doch möglich sein, diese Kirche auf monetärer Basis mit Liebesentzug zu bestrafen – durch einen Kirchenaustritt. Gleichzeitig wolle man aber daran festhalten, Teil dieser Kirche zu sein: Romtreu, Papsttreu, fromm und gläubig. „Wahrer Katholik“, sozusagen; aus der Kirche austreten – und trotzdem katholisch bleiben…
Ganz nebenbei scheint hier ein perfides ideologisches Spielchen durch: Während jeglichen Gruppen die Teil der „deutschen“ Kirche sind der Glaube abgesprochen wird (allen voran den kath. Verbänden), fordert man für sich selbst Sonderrechte: Wer sich als wahrer Katholik bezeichnet solle doch auch bitte ohne rechtliche Konsequenzen aus der Ortskirche aussteigen dürfen…

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) wendet nun ein, dass der Austritt aus dem Solidarsystem der Kirchensteuer durchaus Konsequenzen habe. Zur Gemeinschaft der Kirche gehöre es auch, diese zu unterstützen. Wer die Unterstützung verweigert, stelle sich außerhalb der Gemeinschaft und müsse den Verlust seiner Rechte in Kauf nehmen.

Als Vertreter von ultramontanem Gedankengut hört man hier (siehe oben, Ideologiekritik) keine Argumente sondern vielmehr die Stimme des Feindes sprechen. „Typisch deutsche Bischöfe“, eben. „Denen geht es nur ums Geld.“…

Worum’s tatsächlich geht

Um die Frage der Notwendigkeit des Kirchensteuersystems und um möglicherweise sinnvolle Alternativen geht es in der Diskussion nur noch vordergründig. Die eigentlichen Motive lassen sich nur entlarven, wenn man zwischen den Zeilen liest: Am besten wäre es doch, nur noch jene Ortskirchen zu unterstützen, welche zu 100% „auf Linie“ sind. Jegliches Querdenkertum und jegliches Hinterfragen römischen Denkens und Handelns (von Kritik wage ich gar nicht zu sprechen) kann so durch finanzielle Druckmittel zum Schweigen gebracht werden. Wer mit Worten nicht weiterkommt, handelt eben mit Macht.

Das moderne ultramontanistische Denken zeigt m.E. ein äußerst defizitäres Kirchenbild: Kirche wird reduziert auf die Schlagworte „Rom“ und „Papst“. Dass Kirche sich vor Ort manifestiert – dass das Leben der Kirche in der Ortskirche stattfindet und erfahrbar ist – wird ausgeblendet. Ebenso vergisst man, dass es schon seit dem Jüngerkreis eine positive Eigenschaft des Christentums ist, miteinander zu ringen; auch um Inhalte, auch um Glaubensthemen. Die dunkelsten Kapitel der Kirchengeschichte sind dagegen von starren ideologischen Parteiungen und deren heftigen Kämpfen geprägt.

Wo ist Kirche?

Vor Ort, wo Kirche erlebbar ist (jenseits von Rom), wird es immer verschiedene Positionen geben, die sich im weiten katholischen Horizont bewegen (und es auch dürfen). Es wird immer Punkte geben, an denen sich der Einzelne reiben mag. Und doch ist er/sie erst durch seine Anbindung an jene Ortskirche auch lebendiges Glied der universalen Kirche, welche sich in der Person des Papstes und im Bischofskollegium vernetzt.

Über die Kirchensteuer streiten und nach neuen Wegen suchen? Eine gute Idee. Solange das Kirchensteuersystem aber kein Update erfährt, halte ich die Ansage der DBK für absolut gerechtfertigt und konsequent. Machtspielchen ultramontanistischer Art (und weiterer Ideologien) gehören in den theologischen Mülleimer.

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5 Antworten zu “Der neue Ultramontanismus & die Kirchensteuer”

  1. In deiner Ideologiekritik und deinem Aufruf zur Aufrechterhaltung der Solidargemeinschaft Kirche will ich dir gerne zustimmen. Deine Meinung zum Ultramontanismus finde ich aber doch sehr eng.

    Wenn man die historische Idee des Ultramontanismus betrachtet, geht es ja zunächst einmal um die Abgrenzung das katholischen Südens des Reiches vom protestantisch geprägten, aber kirchenfeindlichen Norden. Und das zu Zeiten des Kulturkampfes. Ultramontane Katholiken in Bayern und andernorts haben sich damals gegen das preußische Kaisertum gestellt, weil sie die staatliche Bevormundung, bzw. Unterdrückung des kirchlichen Lebens nicht tolerieren wollten. In diesem Zusammenhang sind auch Dinge wie bspw. die Zivilehe zu nennen, welche mit der Gründung des Reiches im selbigen eingeführt wurde.
    Insofern ist der Ulramontanismus unter mehrerlei Perspektiven zu betrachten.

    Und diese staatsskeptische, sich von der (negativen) Abhängigkeit vom Staat abwendende Perspektive ist imho heute immer noch sehr aktuell. Natürlich gibt es dieses „Feindbild Kaiser“ nicht mehr. Aber symbolisch gibt es das eben schon noch. Die Kirche in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten viel zu sehr auf ihren staatlich geschützten und unterstützten Strukturen ausgeruht. Und diesen Gedanken habe beileibe nicht ich entwickelt. Jedenfalls sehen wir uns doch nun in einer Situation, in der wir großen Veränderungen nicht wirklich zufriedenstellend gerecht werden können. Weil wir zu behäbig geworden sind, in der institutionellen Bequemlichkeit.

    Natürlich ist ideologische Verblendung immer schlecht. Die Kirche ist mehr, als nur die eine oder die andere Überzeugung. Das muss so sein.

    Dennoch finde ich deine Pauschalverurteilung des Ultramontanismus nicht in Ordnung. Und zwar, weil ich mich selber in dieser Gedankenwelt verorte. Nicht, weil ich meine, dass der einzig heilbringende Weg nur über den unbedingten Gehorsam gegenüber dem Heiligen Vater führt. Das mag für manche Menschen (und mich) funktionieren, sicher aber nicht für alle.
    Nein, wenn ich mich nach Rom orientiere, dann orientiere ich mich zur universellen Weltkirche, weg von unseren oftmals unverständlichen deutschen Sonderwegen.
    Du nimmst ja auch begeistert an den Weltjugendtagen teil (ich war nur 2005 dabei), um die wahre Größe der Kirche zu spüren.

    Zum Thema Kirchensteuer habe ich in meinem Blog auch einen Kommentar abgegeben, hier nachzulesen: http://kiliansnotizen.tumblr.com/post/31922260601/heimliche-staatskirche

    Vielleicht ist aber wesentlich interessanter, was ich zum Thema Entweltlichung der Kirche denke: http://testphase.posterous.com/entweltlichen-wir-uns

    Abschließend vielen Dank für deinen abermals anregenden Beitrag! 🙂

    P.S.: Der Kommentar von Alexander Görlach gefällt mir auch sehr gut!

    • Hallo Kilian, danke für deinen Kommentar.
      Klar, der Vergleich mit dem Ultramontanismus ist überspitzt; das war von mir aber durchaus beabsichtigt. Denn ich sehe hier eine ungesunde Tendenz der Verabsolutierung von „Wahrheiten“; wohingegen die Theologie und auch das kirchliche Lehramt immer wieder herausstellt, dass es eine Hierarchie der Wahrheiten gibt.

      An irgendetwas muss sich jeder Mensch orientieren. Im Zweifelsfall halte ich es für absolut gerechtfertigt, sich am Lehramt der Kirche festzuhalten – und damit natürlich auch am Hl. Vater. Es steht allerdings nirgendwo geschrieben, dass man nicht auch kritisch hinterfragen darf und soll. Und genau das geschieht m.E. im (wie ich ihn nenne) „neuen Ultramontanismus“: Es wird geleugnet, dass es eine Hierarchie der Wahrheiten gibt. Jedes Wort aus dem Mund des Hl. Vaters wird als dogmatische lehramtliche Aussage interpretiert. Man beansprucht zu wissen, was und wie der Papst denkt und wähnt in der eigenen Ortskirche den „Atem Satans“.

      Sicher, in der katholischen Kirche in Deutschland liegt vieles im Argen (genau so, wie in der Kirche in Italien, Frankreich, den USA,…). Für mich wird jedoch in dem Moment eine Grenze überschritten, in dem diese Kirche, in der ich lebe, pauschal mit Attributen wie „kirchenfeindlich“ etc. betitelt wird; wenn gewachsene Gruppen und Verbände, die (mit all ihren Mängeln) für viele Menschen auch eine geistliche Heimat sind, wie Dreck behandelt werden. Daher kommt meine durchaus auch scharfe Kritik am neuen Ultramontanismus.

      Ich glaube, es ist legitim, eine theologische Richtung einzuschlagen, in der man sich grundsätzlich orientiert. Ich vermute, diese Richtung ist bei Dir und bei mir gar nicht mal so unähnlich. Allerdings gehen wir unterschiedlich weit dabei und ziehen verschiedene Schlüsse daraus. Solange ein Dialog noch möglich ist – wunderbar. Sobald aber die Ideologie zuschlägt, wird es schwierig. Also: Pass auf dich auf 😉
      Viele Grüße, Carsten.

  2. Dass die Diskussion ideologische Züge haben kann ist vollkommen korrekt und nicht im geringsten zielführend.

    In Bezug auf die Kirchensteuerdebatte ist jedoch hervorzuheben, dass der Usus und die Argumentation der deutschen Bischöfe kirchlichem Selbstverständnis und dem CIC widerspricht.
    Denn man kann nach dem Selbstverständnis nicht aus der Kirche „austreten“, da man Glied ist und nicht Mitglied wie im Sinne der KöR. (Johannes Paul II. hatte dies im Zuge der Ausarbeitung des CIC entschieden, da hier die Frage des Kircehnaustritts aufkam) Daraus folgt, dass man für die Verweigerung der Zahlung der Kirchensteuer und nicht für den Kirchenaustritt mit einer quasi Exkommunikation bestraft wird. Und ob das gerechtfertigt ist, darf sehr wohl kritisch hinterfragt werden.
    Theologisch ist die Argumentation der Bischöfe nonsens und man darf sich daher nicht über antideutsche Agitation wundern.

  3. Hallo Carsten,
    ersteinmal ein freundliches „Unn“…
    Ich diskutiere seit längerer Zeit zu dem Thema in Foren und kann Dir nur zustimmen. Das Gerede von der „Lehmann – Kirche“ unter Inspiration von 40 Jahren Piusbruderschaft „aus allen Rohren“ kann einen „normalen Katholiken“ regelrecht entnerven.

    Entweder wird man von Leuten, die eigentlich lieber evangelisch wären , drangsaliert und soll z.B. unbedingt Frauenpriestertum toll finden oder man muß sich mit Vertretern einer „Romtreue“ herumschlagen, die bei genauer Beleuchtung eine Ansammlung von mehreren tausend Minipäpsten ist, die alles zum Häretiker erklärt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.

    Konsequenz: Du mi a….
    Ich mache mein Ding, suche mir die guten, vernünftigen Ecken und bleibe katholisch in Weite und halte es mit Guardini:
    „Die Kirche ist das Kreuz, auf dem Christus gekreuzigt wurde. Man kann Christus nicht von seinem Kreuz trennen und muss in einem Zustand ständiger Ungenügendheit mit der Kirche leben.“
    Schöne Grüße in die Heimat,
    die Ankerperlenfrau

  4. P.S. Der „Ultramontanismus“ alter Prägung richtete sich gegen eine „feindliche Umwelt“ im Kulturkampf mit Bismarck z.B. diese „neumodischen Ultras“ erteufeln aber Katholiken und übersehen dabei, daß B. ein Waisenknabe war im Vergleich zu den Laiizisten in Europa. Letztlich bewirken sie Spaltung und Trennung und Heimatlosigkeit und das nehme ich ihnen SEHR übel.

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