Können wir noch gepflegt streiten?

Eine Momentaufnahme der katholischen Internetwelt

Mit jeder Menge scharfer Polemik wird in manchen inoffiziellen katholischen Weblogs und Internetportalen gegen den verstorbenen Mailänder Kardinal Carlo Martini und sein letztes Interview in der Corriere della Sera (in deutsch) gewettert: Aussagen des Kardinals werden mal willkürlich aus dem Kontext gerissen, mal uminterpretiert oder gar in die Schublade der „Kirchenferne“ gesteckt.

In der Theologie ist es seit jeher eine gute Tradition, miteinander zu streiten. Am Austausch von Argumenten, am Beziehen eigener Positionen und am kritischen Hinterfragen derselben lässt sich das Wirken des Geistes erkennen, der auch nach 2000 Jahren nicht die Absicht hat, in Rente zu gehen. Wenn die Argumente jedoch ausgehen und durch Ideologie und Polemik ersetzt werden, wird es gefährlich.

Eine solche Entwicklung tritt in Teilen des katholischen WWW mehr und mehr zutage: Es werden klare Feindbilder ausgemacht, für die man nur noch Spott und Häme übrig hat – selbst, wenn es dabei um einen verdienten Zeugen für Christus und seine Kirche (wie z.B. Kardinal Martini) geht. Man schreibt sich selbst Eigenschaften wie „katholisch, papsttreu, fromm, etc.“ auf die Fahne – versteht darunter aber nur die eigene, fest umschriebene „Wahrheit“, die angeblich deckungsgleich mit dem Katechismus der katholischen Kirche ist. Alles, was sich nicht in die eng gezogenen Grenzen der eigenen Gedankenwelt oder Spiritualität einzwängen lässt, wird grundsätzlich mit dem Stempel „Häresieverdacht“ versehen und mit Genuß zerpflückt (diesem Artikel wird es kaum anders gehen).

Irgendwie muss ich bei solchen Umgangsformen an das Evangelium des letzten Sonntags denken…

Übrigens: Das Interview ist mehr als lesenswert und zeugt m.E. von einer großen Liebe zur Kirche: Gerade durch die klar zur Sprache gebrachten kritischen Anfragen. Danke, Kardinal Martini!

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7 Antworten zu “Können wir noch gepflegt streiten?”

  1. Der Beitrag beschreibt eine zutiefst gespaltene Kirche, deren Flügel sich gegenseitig blockieren.
    Der eine Flügel blockiert durch Verhinderung jedweder Veränderung jeden Fortschritt der Kirche und der andere Flügel lässt diesen durch ausbluten wirkungslos werden. Und alle dürfen der Kirche bei ihrer langsamen Selbstzerfleischung zusehen wie weiland die Römer im Colosseum den Bestien, wie diese die Märtyrer zerfetzt haben. Ich finde das alles gar nicht lustig und wenn das so weitergeht, dann versinkt die römisch katholische Kirche in der selben Bedeutungslosigkeit, wie die Zeugen Jehovas.
    Seit einem halben Jshrhundert werden Gesetze verabschiedet, auf die die katholische Hierarchie keinerlei andere Antwort hat als „das ist verboten!“
    Langsam wird’s Zeit, dass sich die hohen Herren in den purpurnen Soutanen mal was anderes einfallen lassen, als das ewige NJET. Das hat schon der UdSSR nicht allzu gut getan und ich fürchte, das wird auf Dauer auch der Kirche nicht gut tun.

  2. vollkommen richtig. Ich finde, wir sollten uns mal wieder an die, in katholischen Universitäten des Mittelalters (!) gepflegte Dialektik erinnern: These, Antithese, Synthese/Konsens. … ich glaube, da gehörte auch das Gebet, auch für den mit der anderen Meinung, dazu 🙂

  3. Hallo Carsten,

    ich hatte letzten Sonntag auf meinem Blog etwas ähnliches gepostet. Generell führt Anonymität zu einer erhöhten Aggressivität, das ist ja bekannt – anders könnten auch Kriege nicht funktionieren (man stelle sich vor, die Kämpfer im Häuserkampf werden erst einander vorgestellt, man erzählt von den eigenen Familien etc., und soll sich dann noch erschießen – die Zahl der Opfer wäre dann wohl noch minimal). Anonymität nimmt dem anderen das menschliche und somit göttliche Antlitz, so daßein Angriff viel leicher wird. Die in der zeitgenössischen Theologie leider nicht so beachtete Form des scholastischen Diskurses, von Klaus schon lobend erwähnt, könnte uns hier viel weiterhelfen. Wer mal Bonaventura oder Thomas (ich bevorzuge ersteren) in einen ihrer Disputationes gelesen hat, kann lernen, wie man die Argumente des anderen wertschätzt.

    • Genau das meine ich. Wir scheinen vergessen zu haben, „oberhalb der Gürtellinie“ – nämlich mit Köpfchen zu streiten und zu diskutieren: Respekt und Wertschätzung des Gegenübers sind zunehmend Fremdworte. Vielerorts wird nicht mehr akzeptiert, dass es auch andere Spiritualitäten als die Eigene gibt; dass „katholisch sein“ etwas mit Weite zu tun hat.
      Viele Aussagen und Artikel in katholischen Seiten und Weblogs rufen in mir ein Gefühl des Fremdschämens hervor: Welches Zeugnis geben wir für Christus ab, wenn wir innerhalb seiner Kirche so miteinander umgehen?…

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