Vom verlorenen Glauben

Ja. Du hast richtig gelesen. Ich hab meinen Glauben verloren.
Nicht von heute auf morgen. Nicht mit einem großen Knall. Eher so, wie wenn ein Gebäude im Lauf der Jahre anfängt, Risse zu bekommen, zu bröckeln und dann in sich zusammenfällt.

Es begann mit „Kleinigkeiten“. Ein paar merkwürdige Fehlstellen in meinem Glaubensgebäude. „Ist ja nicht sooo schlimm“ dachte ich. „Da seh ich einfach drüber weg. Oder bessere sie mit Farbe aus.“ Heute weiß ich, dass Schwachstellen an der Statik sich nicht mit einem netten Anstrich beheben lassen.

Man mag mir vorwerfen, dass ich mich nicht genügend um mein Glaubensgebäude gekümmert habe. Hätte ich doch nur mehr gebetet. Wäre ich doch nur einen Ticken frömmer gewesen. Hätte ich doch einfach nicht so viele Fragen gestellt. Dann wär’s nicht so weit gekommen.

Ich hab’s halt einfach nicht geschafft. Ich hab’s weder geschafft, meinem Verstand das Denken – noch meinem Herz das Fühlen zu verbieten. Und jetzt? Ist es passiert.

Ich glaube nicht.

Ich glaube nicht mehr an das „Haus voll Glorie“, das die Kirche mal für mich war. Mächtig und stark. Voller Glanz und Strahlkraft.
Stattdessen sehe ich ein System, das Missbrauch in allen seinen Formen toleriert und verschiegen hat. Es teilweise immer noch tut. Ich sehe ein System, das Menschen ausgrenzt. Weil sie weiblich sind. Weil sie schwul oder lesbisch oder trans sind. Weil sie geschieden und wiederverheiratet sind. Oder weil sie einfach nur kritische Fragen stellen.

Ich kann’s nicht mehr hören, wenn Kirchenvertreter, Priester und Bischöfe mit nichtssagenden frommen Worten und theologischen Phrasen daherkommen, die sich zwar nett und spannend anhören – die aber mit dem Leben und seinen konkreten Herausforderungen nichts zu tun haben.

Ich kann’s nicht mehr sehen, wenn Kirche sich selbst feiert in klerikalistischen Selbstdarstellungen – und durch ihre Bildsprache fortwährend Menschen ausgrenzt.

Bei manchen der Lieder, die wir singen – und bei manchen Gebeten, die wir beten, rollen sich mir die Zehennägel hoch. Weil sie Gott und Jesus in eine rosarote Zuckerwatter einhüllen, die mit der Realität nichts zu tun hat. Die in Teilen theologisch mehr als fragwürdig sind.

Ich glaube nicht mehr an einen Gott, der es nötig hat, dass wir ihn rund um die Uhr lobpreisen. Der beleidigt ist, wie ein kleines Kind, wenn wir gerade mal keinen Kopf dafür haben.

Und ich glaube nicht mehr an einen Gott, der sich nur durch den grauenhaften Tod seines Kindes am Kreuz versöhnen lässt.

Ein Pfarrer, der nicht glaubt? Gibt’s nicht!
Doch. Gibt’s.
Und jetzt?

Was tun, wenn man den Glauben verloren hat?

An dieser Stelle eine kleine Entwarnung: Mir geht’s gar nicht so schlecht mit meinem verlorenen Glauben. Im Gegenteil. Ich weiß mich solidarisch verbunden mit vielen jungen und alten Christ*innen, denen es ganz ähnlich geht. Das tut gut.

Und wenn ich in diesen Tagen (es ist gerade Osterzeit) Gottesdienste feiere, begegnen mir in der Bibel andauernd Menschen, die zweifeln. Deren Glaubensgebäude ebenso in sich zusammengestürzt ist. Die Emmausjünger, die nicht mehr glauben können, weil alle ihre Bilder von Jesus am Kreuz zersplittert sind. Thomas, der so sehr glauben möchte, es aber nicht kann, solange er Jesus nicht anfassen darf.

Spannende Sache: Sowohl die Emmausjünger als auch Thomas merken im NACHHINEIN, dass sie ihren Glauben gar nicht verloren haben. Im Gegenteil. Die ganze Zeit war da Sehnsucht. Ein Funke, der im Herz gebrannt hat. Die ganze Zeit war Jesus dabei. Unerkannt. Alles, was sie gebraucht haben, war eine Berührung. Eine Begegnung. Damit ihr Glaube neue, tiefere Wurzeln schlagen konnte.

Vielleicht hab ich meinen Glauben ja gar nicht verloren.

Vielleicht ist es heilsam und gut, wenn manche Glaubensbilder und -gebäude in sich zusammenbrechen. Auch, wenn es im Moment weh tut. Könnte es sein, dass gerade all die Zweifel und Fragen mich näher zu Gott bringen? Dass sie meinen Glauben reifen lassen und ihm Tiefe geben; weil sie mir helfen, mich von schrägen und falschen Gottesbildern zu verabschieden?

Wenn ich nicht mehr an das „Haus voll Glorie“ glaube – glaube ich umso mehr, dass Jesus seine Kirche von Anfang an als eine Art Dauerbaustelle errichtet hat. Sie ist ein „Feldlazaret“ in den Stürmen der Zeit, sagt Papst Franziskus. Ein Ort für die Verletzen und Ausgegrenzten. Für die Fragenden, die Zweifelnden und die Benachteiligten. Mit diesem Ort kann ich mich anfreunden. Trotz all seiner Unperfektheiten.

Wenn ich allergisch auf nichtssagende fromme Phrasen reagiere, hat das einen guten Grund. Ich glaube, dass Jesus niemals einen „Frömmigkeitsverein“ gründen wollte. Sondern eine Gemeinschaft von Menschen, die füreinander und für die Welt einstehen. Konkret. Greifbar. Erfahrbar. Auch politisch. Weil die Erde ein Geschenk Gottes ist – und wir alle (!) seine Kinder. Auch an dieser Stelle ein Danke, lieber Bruder Franziskus, für die Impulse, die du mir mitgegeben hast.

Doch. Ich glaube!

Mit einem Glauben, der wacklig ist und voller Fragen.
Mit einem Glauben, der immer wieder zerbricht und sich verändert. Das darf er. Denn solange er sich verändert, ist da Leben drin. Solange er in Bewegung bleibt, vertraue ich drauf, dass es Gottes Geist ist, der da rumweht und manches durcheinanderwirbelt.

Ich glaube.
Mit einem Verstand, der wach bleiben und weit sein soll.
Mit einem Herzen, das brennt.

Solange es brennt, werde ich weitergehen.
Darauf hoffen, dass ER mich hin und wieder berührt.

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