Wenn Jesus ausrastet

Im Allgemeinen ist er ja eher der entspannte Typ.
Freundlich, höflich und bedacht. Friedlich und deeskalierend.
Netter Kerl. Tut keiner Fliege was zuleide.
Wenn’s verschiedene Meinungen gibt, setzt er auf die Macht der Argumente.
Er streitet mit Worten. Vertraut auf klugen Menschenverstand.

Manchmal. Ganz selten. Wird’s sogar ihm zuviel.
Dem lieben Jesus.

Wenn er spürt, dass sein Gegenüber sich einen Dreck um Andere schert.
Wenn Menschlichkeit mit Füßen getreten wird.
Wenn Argumente nicht mehr helfen.

Dann… kann er nicht mehr an sich halten.
Dann rastet er auch mal aus.

Dann ist er laut. Stinksauer. Auf 180.
Dann wütet er. Wird sogar handgreiflich.
Mitten im Tempel. Im Gotteshaus.

„Jesus ging in den Tempel und trieb alle Händler und Käufer aus dem Tempel hinaus; er stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und sagte zu ihnen: Es steht geschrieben: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes genannt werden. Ihr aber macht daraus eine Räuberhöhle.“

(Mt 21, 12-13)

Wieso?
Wieso macht der das?

Vielleicht, weil ihm der Tempel heilig ist.
Ein Ort, der für einen Gott steht, der solidarisch ist.

Solidarisch mit seinem Volk.
Solidarisch mit den Hungernden, den Benachteiligten, den Armen.
Solidarisch mit den Kranken, den Trauernden, den Getretenen.
Ein sicherer Hafen. Ein Schutzort. Ein Segensort.

Wenn dieser Ort für miese Geschäfte missbraucht wird.
Wenn Mächtige versuchen, diesen Ort für ihre Machenschaften zu vereinnahmen.
Wenn sie die letzten sicheren Häfen der Menschheit bedrohen.
Dann reißt selbst Jesus der Geduldsfaden.

Dann wütet er im Tempel.

Den Tempel in Jerusalem gibt’s nicht mehr.
Er wurde im Jahr 70 von römischen Truppen geplündert, in Brand gesetzt und zerstört.
Schon vorher – während der Tempel noch steht – grübelt der Apostel Paulus über den Ausraster Jesu nach. Er hat ne Idee.

„Vielleicht“ denkt er sich „geht’s Jesus ja gar nicht um DEN Tempel.
Vielleicht geht’s ihm viel mehr um die Menschen!“

„Wisst ihr nicht, dass IHR Gottes Tempel seid
und der Geist Gottes in euch wohnt?
Wer den Tempel Gottes zerstört, den wird Gott zerstören.
Denn Gottes Tempel ist HEILIG und der SEID IHR.“

(1 Kor 3, 16f)

Wir schreiben das Jahr 2025

Sie sind wieder da.
Die Händler, die für ein paar Goldstücke Menschenleben opfern.
Die Machtgeilen, die auf ihrem Weg zum Ruhm das letzte bisschen Würde aus den Geschlagenen herausquetschen.
Die Despoten, die die Welt unter sich aufteilen. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Sie zählen auf treue Fans, die ihnen zur Macht verhelfen.
Sie setzen alles dran, die Menschen dumm und klein zu halten.
Kluger Menschenverstand? Argumente? Fakten?
Zählen nicht mehr.

Was Jesus drüber denkt?
Sollte klar sein.

Die Frage bleibt, was seine Jünger*innen damit machen.
Auf wessen Seite stellen sie sich?
Was werden sie tun? Was unterlassen?

Noch’n kleiner Tipp – und ein Danke.

  • Der Tipp: Wut lässt sich wunderbar in Kreativität verwandeln. Vielleicht – oder ziemlich sicher – gibt es ja kluge, kreative und gewaltfreie Wege, die Händler aus dem Tempel zu schmeißen?!
  • Das Danke: Danke allen, die nicht schweigen. Allen, die ihre Wut nutzen um den Tempel Gottes zu schützen und ihn aufzubauen.

„Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten.“

(Ps 126, 5)
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