72 Stunden

„Ich will mich ja nicht beschweren.“
Der schwarze Hund blickt mich mit vorwurfsvoller Miene an.
Ich zucke mit den Schultern. „Na dann lass es doch einfach bleiben.“
„Jaaaa. Neee. Ich meine…“
„Was meinst du denn?“
„Also die letzten 3 Tage. Da warst du ganz schön hibbelig.“
„Hibbelig?“
„Genau. Du warst mal da. Dann warst du wieder weg. Bist ständig hin und hergewuselt. Hast mal breit gegrinst und dann wieder ausgesehen wie drei Tage Regenwetter. Im einen Moment hast du gekichert und gejubelt. Im nächsten geflucht und gejammert. Und dann diese ewig langen Ramazzotti-Runden Abends mit Tanja und Ilka. Alles klar bei dir?“

„Ach Phil“ lache ich. „Das war halt die 72-Stunden-Aktion. Ist völlig normal, dass da alle ein bisschen durchgeknallt sind.“
„Häh?“
„Na, du warst doch ein paar Mal mit mir drüben am Pfarrheim. Bei den Jugendlichen.“

Der Hund steht auf und wedelt aufgeregt mit dem Hinterteil.
„Sind die noch da? Komm. Lass uns rübergehen. Die sind voll cool drauf.“
„Sorry. Die haben jetzt Feierabend. Und das mit Recht.“
„Wieso?“
„Das hab ich dir doch erklärt: Die mussten in 72 Stunden 15 Bänke bauen und 14 davon in der ganzen Nordpfalz verschenken.“
„Schon klar. Hab ich ja gesehen. Die waren voll im Arbeitsmodus. Die haben die ganze Zeit gesägt, geschliffen und mit Pinseln rumgefuchtelt.“
„Eben. Die haben alles gegeben, um ihre Aufgabe in 72 Stunden zu erfüllen. Und weißt du was? Ich bin saumäßig stolz auf die: Die haben’s tatsächlich geschafft.“

Phil kratzt sich mit der Hinterpfote am Kopf.
„Hmmm. Ich versteh immer noch nicht, warum die das gemacht haben…“
Ich überlege kurz, wie ich’s meinem vierbeinigen Freund erkläre.
„Also. Bei der 72-Stunden-Aktion treffen sich in ganz Deutschland tausende Jugendgruppen. Jede von ihnen bekommt eine Aufgabe, die sie drei Tagen bewältigen soll. Die meisten Gruppen wissen vorher nicht, was auf sie zukommt. Die Jugendlichen sehen ihre Aufgabe und müssen dann erst mal überlegen, wie sie die umsetzen können.“
„Du meinst“ unterbricht mich Phil „Eure Jugendlichen wussten überhaupt gar nix? Die mussten von Null auf gleich loslegen und erst mal die ganzen Materialien und Werkzeuge besorgen und überlegen, wie man mal eben 15 Holzbänke baut?“
„Genau das.“
„Krass.“

Erneut kratzt sich Phil am Kopf.
„Aber warum?!?“
„Die Idee ist, dass die Jugendlichen sich zusammenraufen und gemeinsam ein soziales Projekt stemmen. Dass sie damit der ganzen Welt zeigen, dass junge Menschen einen Impact haben. Dass sie mitmischen und was bewegen wollen und können in der Welt. Und in der Kirche. Unsere Jugendgruppe hatte eben die Aufgabe, 15 Bänke unter dem Titel „Kein Platz für Rassismus“ zu bauen.“
„Und du hast das ganze Dingens organisiert?“
„Nein. Da gab es ganz viele Menschen, die das organisiert haben. In unserer Pfarrei haben Tanja und Ilka die Aktion geplant und gemeinsam mit den Jugendlichen umgesetzt. Die haben sich so richtig ins Zeug gelegt. Ohne die beiden hätte es keine 72-Stunden-Aktion bei uns gegeben.“
Der Hund nickt anerkennend. „Voll cool, dass es solche Leute in eurer Pfarrei gibt.“
„Auf jeden Fall“ stimme ich zu. „Und dazu kommen noch all die anderen Frauen und Männer, die in den letzten drei Tagen die Jugendlichen unterstützt haben. Das macht mich gerade so richtig froh und stolz.“

„Okay.“ Nickt der kleine Hund. „Jetzt versteh ich, warum du so wuselig warst. Und warum da so viel Action rund ums Pfarrheim war. Aber eine Frage habe ich noch…“
„Welche?“
„Was haben denn die Jugendlichen davon?“
„Ganz einfach“ antworte ich. „Die haben in 72 Stunden erfahren können, dass sie echt was drauf haben. Dass jede und jeder von ihnen Talente und Fähigkeiten hat, die er einsetzen kann. Dass sie gesehen werden und wertgeschätzt werden. Dass sie echt was bewegen können…“

Der schwarze Hund hat Pippi in den Augen.
„Wow. Was für eine geniale Aktion.“
„Was für eine geniale Aktion“ wiederhole ich.
„Wenn das so ist“ ergänzt Phil „ist es in Ordnung, dass du die letzten 3 Tage kaum Zeit für mich hattest.“

Der Vierbeiner und ich sitzen da und schweigen.
„Du, Carsten?“
„Ja, Phil?“
„Ich finde… genau so muss Kirche sein. Ein Ort, an dem Menschen herausgefordert werden und entdecken können, dass sie echt was draufhaben. Dass sie Berge versetzen können, wenn sie gemeinsam loslegen.“
„Genau so.“

#gesprächemitphil

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