„Warum hast du so nen knallroten Kopf?“
Der Hund ist nach seinem ausgiebigen Morgennickerchen aufgewacht und blickt besorgt in meine Richtung.
„Ich schreib gerade die Predigt für nächsten Sonntag.“
„Schön für dich. Aber warum der knallrote Kopf?“
„Weil ich mich aufrege!“
„Ach ne. Das hätt ich jetzt nicht gemerkt.“
Ich hole tief Luft und schnaufe durch.
„Da geht’s um so ne Geschichte von Jesus in der Synagoge. Pass mal auf…“
Phil hört aufmerksam zu, während ich ihm vorlese.
„Da war ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien: Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn!“
Der Vierbeiner hockt da und wartet ab.
„Ja und? Ist doch ein echt netter Move vom Jesus. Der Typ ist offensichtlich krank. Jesus macht ihn gesund. Alles fein. Also ich seh da keinen Grund, sich aufzuregen.“
„Ich reg mich ja auch nicht über den Jesus auf.“
„Worüber dann?“
„Schau mal…“ Ich überlege, wie ich’s meinem Hund erkläre.
„Das mit dem unreinen Geist. Das ist so ne uralte Redewendung, die heute keiner mehr versteht. Wenn damals jemand psychisch krank war oder körperlich; oder wenn damals einer sonst irgendwie total schräg war, hat man gesagt, er ist von einem unreinen Geist besessen. Einfach, weil man noch keine andere Erklärung dafür hatte. Weil die Medizin und die Psychologie noch nicht so weit waren…“
Phil nickt. „Verstehe.“
„Wirklich?“
„Ja klar. Find ich logisch. Aber ich kapier immer noch nicht, warum dich das so aufregt.“
„Die unreinen Geister. Die regen mich auf!“
Der schwarze Hund schaut mich mit einem mitleidigen Blick an. Gerade so, als ob ich der Besessene sei.
„Alter. Jetzt mal Butter bei die Fische. Oder soll ich noch ewig weiterraten, was mit dir los ist?“
„Na. Mir ist gerade klar geworden, wie krass aktuell diese Geschichte ist.“
„Häh?“
„Die unreinen Geister. Ich glaub, die gibt’s auch heute noch. Wir nennen sie nur anders.“
Phil legt seinen Kopf schief zur Seite. Einen Moment lang finde ich den Anblick total süß. Dann fällt mir ein, dass er das immer macht, wenn er sehr aufmerksam zuhört. Also erkläre ich weiter.
„Denk mal an Dinge, die Menschen langsam aber sicher zerstören. An Gedankenwelten, die das Miteinander vergiften und vernichten. An Geister, die sich gerne als Opfer darstellen und so tun, als seien sie ganz lieb und toll. An die Schwurbelgeister, die mit Verschwörungstheorien daherkommen und den Menschen ganz subtil Egoismus, Abgrenzung und Hass ins Gehirn reinsäen.“
Zwischenzeitlich sitzt Phils Hundekopf wieder gerade auf den breiten Schultern. Sein Blick ist klar und fest auf mich gerichtet.
„Könnte es sein…“ murmelt er „Dass du gerade an eine gewisse Partei denkst, die mit A anfängt und mit fD aufhört?“
„Unter anderem.“
„Und du meinst, die sind von unreinen Geistern besessen?“
„Nee. Zumindest würde ich das so nicht sagen. Und ja. Ich meine, die haben Gedanken im Kopf, die nicht nur unrein sind, sondern hochgiftig und gefährlich. Die haben das Potential, die Gesellschaft zu zerstören und zu unglaublichem Leid zu führen. Hatten wir vor 80 Jahren schon mal…“
Ein tiefes Grummeln tönt aus Phil’s Kehle. Er legt seine Ohren an. Seine Bürste steht.
„Jetzt. Jetzt versteh ich, warum du dich so aufregst. Weil du dich ärgerst. Und weil du Angst hast, dass die unreinen Geister sich ausbreiten und noch mehr Menschen infizieren.“
„Eben.“
Der Hund steht auf und schüttelt sich.
Langsam entspannt sich sein Blick.
„Du, Carsten?“
„Ja, Phil?“
„Der Jesus. Der hat schon damals kapiert, was so ein unreiner Geist in einem Menschen anrichtet. Dass er ihn langsam aber sicher kaputt macht.“
„Hat er.“
„Und er hat laut und deutlich Halt die Klappe gerufen. Hau ab. Hör auf, Menschen krank zu machen.“
„Hat er.“
Phil schaut mich auffordernd an.
„Na dann…“
„Dann was?“
„Dann wisst ihr ja, was ihr zu tun habt. Du und all die anderen Christ*innen. Du und all die anderen Menschen, die nicht wollen, dass die unreinen Geister das Miteinander kaputtmachen.“
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