Die letzten Tage waren anstrengend. Neben der ganzen Arbeit, die ansteht und getan werden muss, sind meine Gedanken immer wieder um die schrecklichen und nicht enden wollenden Geschehnisse in Paris gekreist. Um die Ermordeten, um deren Familien, um die verblendeten Täter.
In den Pausen konnte ich ab und an die Diskussionen in den Nachrichten und in den sozialen Netzwerken verfolgen – und bin erschüttert. Braune Gruppen und menschenfeindliches, rechtsgerichtetes Gedankengut erleben durch die Terrorakte einen unglaublichen Aufwind. Diese Gruppen nutzen die islamistischen Terrorakte, um Menschen zu radikalisieren. Auch christliche Gruppierungen und Internetseiten mischen mit und bedienen sich einer Rhetorik, welche die Terrorakte dem Islam als Ganzes angelastet.
Solche Verallgemeinerungen halte ich für pervers. Mit ganz ähnlichen Argumentationsschienen wurde in unserem Land schon einmal eine gesamte Religion als Teufelswerk dargestellt. Die Folgen waren katastrophal.
Niemand, der bei gesundem Menschenverstand ist, leugnet, dass es im Islam gefährliche Strömungen gibt, mit denen sich die muslimische und die gesamte Welt beschäftigen muss. Das stand nie zur Debatte. Zur Debatte steht aber sehr wohl, dass (viel zu viele) rechtskonservative Gruppierungen (leider auch Christen) das grausame Unrecht, das von radikal-islamistischen Gruppen verübt wird, als Argument gegen den Islam als solches verzwecken.
Ich denke: Nach den Anschlägen in Paris ist es unsere erste Aufgabe mit den Familien der Verstorbenen zu trauern. Für die Opfer, deren Verwandte und auch für die Täter zu beten.
Unsere zweite Aufgabe ist es, jetzt erst recht gegen braune Gruppierungen sowie menschenfeindliches und rechtes Gedankengut die Stimme erheben. Dazu gehört es auch, weiterhin vor Pegida und Co. zu warnen.
Erzbischof Schick hatte den gleichen Gedanken. Hier findet Ihr einen lesenswerten Artikel dazu bei katholisch.de: Schick warnt (jetzt erst recht) davor, in die Falle einer pauschalen Verurteilung aller Muslime zu tappen. Dabei setzt er vor allem auf die Christen: „Christen sind Menschen von Glaube und Vernunft. Sie haben den Heiligen Geist der Unterscheidung.“ Wer jetzt nicht differenziere, trage zur Radikalisierung bei…
Dabei spielt m.E. die Konzilserklärung „Nostra Aetate“ über das Verhältnis der Kirche zu den anderen Religionen eine wichtige Rolle. Darin wird der Islam ausdrücklich erwähnt – und die Kirche stellt fest, dass sie „nichts von alledem ablehnt, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.“
Die muslimische Welt schweigt. Nicht.
Der „muslimischen Welt“ wird oft der Vorwurf gemacht, dass Muslime den Islamismus totschwiegen und keine Stellung dazu beziehen würden. Hier ist sicher noch jede Menge Luft nach oben. In den letzten Tagen habe ich jedoch sehr viele klare und eindeutige Stellungnahmen von Muslimen gelesen, welche sich vom Islamismus distanziert haben: Zum Beispiel hier, hier, hier (gemeinsam mit dem Vatikan) oder hier. Es gibt noch weitaus mehr Stellungnahmen auf der ganzen Welt, welche ich nicht extra verlinke…
Blick auf die Ursachen des Terrors
In der gesamten Diskussion kommt mir der Blick auf die vielfältigen Ursachen des islamistischen Terrors zu kurz. In fast allen „Glaubenskriegen“ der letzten Jahrhunderte – sicher auch in diesem – spielte der Glaube an Gott in Wirklichkeit nur eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich ging es um die Klärung von Machtverhältnissen, um Besitz- und Herrschaftsansprüche.
Mit Blick auf die arabischen Länder habe ich den Eindruck, dass diese Punkte auch hier eine weitaus wichtigere Rolle einnehmen, als der Glaube an Allah, welcher letztlich bloß als vorgeschobener Rechtfertigungsversuch herangezogen wird. Mit dem schrecklichen Nebeneffekt, dass ungebildete oder indoktrinierte Menschen auf dieses abartige Spiel hereinfallen und tatsächlich denken, Gott oder Allah belohne Terror und Mord mit ewigem Leben etc.
Gedankenspiel: Trennung von Staat und Kirche
Wie können Gesellschaften und Staaten mit der Gefahr des religiösen Radikalismus am Besten umgehen? Ich habe keine Lösung, aber eine Idee, um die meine Gedanken im Moment herum kreisen.
Wäre es denkbar und sinnvoll, in allen Ländern der Welt auf eine Trennung von Staat und Religion hinzuarbeiten und sich für deren Umsetzung auf verbindliche Richtlinien und Gesetze zu einigen?
An erster Stelle stünden dabei einheitliche Menschenrechte (Schutz-, Förderungs- und Beteiligungrechte). Diese müssten fest und unumstößlich in den Verfassungen und Grundgesetzen der Länder aufgeschrieben sein und stünden vor allen Rechten der Glaubensgemeinschaften und Religionen.
Zu den Menschenrechten könnte (und müsste) das Recht auf freie Religionsausübung treten. Es gäbe also einen verbindlichen und überprüfbaren Rahmen, innerhalb dessen sich Glaubensgemeinschaften frei bewegen könnten. In diesem Rahmen sollten Religionen m.E. auch als Kultur- und Meinungsbildend anerkannt und gehört werden.
Gegenüber dem Staat stünden die Glaubensgemeinschaften in dieser Denkweise in einer Bringschuld: Sie hätten die Aufgabe, durch Bildung und Verkündigung extremistische Positionen in den eigenen Reihen zu verhindern und diese klar abzulehnen.
Dort, wo Glaubensgemeinschaften den Aufgaben des Staates dienen und diesen unterstützen, sollten die entsprechenden Synergien auch genutzt werden. In Deutschland geschieht das zum Beispiel dadurch, dass die Kirchen im sozialen Bereich viele Aufgaben des Staates übernehmen.
So. Das reicht erst mal.
Meine Gedanken werden wohl noch etwas weiter kreisen.
Ich nehme sie mit ins Gebet. Und denke dabei nicht nur an die Opfer und Täter – sondern vor allem auch an jene Menschen, die sich in diesen Wochen von den braunen Seelenfängern beeinflussen lassen…