Gefährliches Schwarz-Weiss-Denken

schwarz-weiss-denken
Menschen neigen gerne dazu, Sachverhalte schwarz-weiß-denkend zu umschreiben und zu beurteilen. Das mag in manchen Bereichen praktisch sein: Wenn es um den persönlichen Geschmack geht, gibt’s wenig zu diskutieren. Kartoffeln sind halt einfach blöd. Basta! Unpraktisch und unredlich wird es, wenn man komplexere Sachverhalte schwarz-weiß-denkend umschreibt und bewertet.

Aktuelle Beispiel gefällig?

  • Der Islam. Da gibt es Leute, die im Namen des Islam menschenmordend, vergewaltigend und hassend durch die Welt marodieren. Eine abscheuliche Sache, gegen die man nicht genug kämpfen kann. Absolut verurteilenswert. Da muss noch viel mehr passieren!
    Die Schwarz-Weiß-Denker folgen nun einem einfachen Argumentationsstrang: „Weil manche Menschen mit dem Islam böse Dinge tun und es diskussionswürdige Inhalte in der muslimischen Religion gibt, ist der ganze Islam böse und Teufelswerk.“
  • Gender. Da gibt es Leute, die unter dem Etikett Gender die biologisch erwiesene Tatsache, dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, verwischen wollen. Und solche, die Ehe und Familie abschaffen wollen. Zudem wird Gender mal so und mal so definiert. Das finden wir Christen (übrigens auch viele Nichtchristen, Atheisten und seriöse Wissenschaftler/innen) nicht lustig. Mit Recht.
    Die Schwarz-Weiß-Denker: „Weil manche Menschen mit Hilfe der (einer) Gendertheorie Schwachsinn verbreiten, ist die komplette Grundannahme der Gendertheorie böse und Teufelswerk.“
  • Die Katholische Kirche. Da gibt es Leute, die auf fast pervers anmutende Weise mit Geld umgehen. Da gibt es Priester, die Kinder missbraucht haben. Da gibt es fragwürdige arbeitsrechtliche Regelungen. Und und und.
    Die Schwarz-Weiß-Denker: „Weil manche Katholiken schlimme Dinge tun und seltsamen Stuss von sich geben, ist die komplette katholische Kirche böse und Teufelswerk. Und übrigens sind auch alle Priester pädophil.“

Schwarz-Weiß-Denken ist in Mode. Leider. Selbst ehemals seriöse Medien geben sich dieser Denkweise hin, anstatt den Versuch zu wagen, Fakten abzuwägen und davon ausgehend ein Urteil zu fällen.

Ich meine: Uns Christen steht Schwarz-Weiß-Denken nicht gut zu Gesicht. Es ist zu einfach. Es ist naiv. Es ist billig. Es ist unwissenschaftlich. Es widerspricht der Frohen Botschaft.

Warum Schwarz-Weiß-Denken unwissenschaftlich ist.

In der Wissenschaft gilt der Grundsatz, dass jede Theorie gründlich auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen ist. Dabei betrachtet man zunächst die einzelnen Grundannahmen, die der Theorie zu Grunde liegen. Dann die Theorie als Ganzes. Schließlich stellt man die Frage, ob sich die Theorie im Alltag bewährt und zu schlüssigen Ergebnissen führt.

Stellt man nun an einem Punkt fest, dass sich Fehler einschleichen, wird NICHT gleich die Theorie in ihrer Gesamtheit verworfen, sondern man bemüht sich, die Fehlerquelle zu finden und auszuschalten. Wenn man dabei merkt, dass die Theorie selbst nach Ausschalten aller Fehlerquellen noch immer falsche Ergebnisse liefert, kommt man eventuell zum Schluss, dass die Grundannahmen falsch sind und die Theorie damit hinfällig wird. Dabei ist immer die Frage zu stellen: „Sind einzelne Zufügungen zur Theorie falsch – oder ist die Grundannahme falsch?“

Wenn ich mit dieser Methode z.B. auf die Gendertheorie blicke, stelle ich fest, dass es jede Menge Zufügungen gibt, welche die Theorie fragwürdig erscheinen lassen. Hier ist Kritik angebracht und wichtig. Hier steht also in einem nächsten Schritt die Aufgabe an, zu überprüfen, ob die Grundannahmen korrekt sind. Konkret: Ist es eine wissenschaftlich redliche Vorgehensweise,  zwischen biologischem Geschlecht und sozialen Zuschreibungen zu den Geschlechterrollen zu unterscheiden? Ich meine: Ja, das ist es. Es ist historisch belegbar, das soziale Geschlechterrollenzuschreibungen sich schon immer geändert haben und dass es Sinn macht, einen kritischen Blick darauf zu werfen.

Für die Gendertheorie stünde nun der nächste Schritt an: Den überprüfbaren Kern zu behalten und darauf aufbauend die Theorie weiter zu entwickeln. Verwirft man nun (was die Schwarz-Weiß-Denker tun) die gesamte Theorie, verwirft man auch den wahren Kern. Wozu dient das?

Warum Schwarz-Weiß-Denken dem Evangelium widerspricht.

Muss man dazu wirklich noch was schreiben und Belege liefern, die jedem Christen, der ein bisschen mitdenkt offensichtlich und klar sein sollten? Oder ergibt es sich nicht von selbst, wenn wir uns ansehen, wie Jesus mit Menschen umgeht?

Jesus Christus denkt, urteilt und handelt nicht schwarz-weiß. Statt dessen trifft er auf Menschen, die nicht perfekt sind und manchmal auch großen Mist in ihrem Leben gebaut haben; und sieht auf das Positive, das Richtige, das Gute in ihnen.
Ja, Zachäus ist ein übler Abzocker: Aber Jesus ist in der Lage, das gute in seinem Herzen zu sehen. Ja, Petrus ist ein Feigling. Aber Jesus sieht seine Sehnsucht und seinen guten Kern und macht ihn zum Leiter der Apostel. Jesus weißt auf die dunklen Seiten hin; er stellt klare Forderungen auf – er verwirft aber nicht den Menschen als Ganzen.

Mit Blick auf Theorien und Lehrgebäude handelt Jesus ebensowenig schwarz-weiß-denkend. Er verwirft gefährliche, irreführende und fesselnde Auswüchse, die sich im Lauf der Zeit wie Spinnennetze um den Glauben an Gott herum gebildet haben – und weißt auf den guten und wahren Kern hin. Das Sabbatgebot hat zum Beispiel nicht den Sinn, Menschen allerlei Dinge zu verbieten, sondern ist dazu da, ihm eine Zeit der Ruhe und eine Zeit mit Gott zu schenken. Er sagt nicht „Das gesamte Sabbatgebot ist sch…“, sondern „Was ihr draus gemacht habt ist Blödsinn!“

Schließlich sollte für alles was wir als Christen tun und denken gelten, was Paulus an die Gemeinde in Thessalonich schreibt: „Löscht den Geist nicht aus! Verachtet prophetisches Reden nicht! Prüft alles und behaltet das Gute!“ (1 Thess 5, 19-21)
Mit Blick auf Theorien wie „Gender“ stehen wir damit vor der Herausforderung, sie genau zu prüfen und das Gute, was darin liegt, zu behalten. Nicht mehr – aber auch nicht weniger!

Gedankenfetzen zum Schluss

Ich bin der Meinung, dass wir Katholiken viel zu oft einen Weg gehen, der uns in einem ziemlich düsteren Licht erscheinen lässt. Wenn wir vor einer Position, einer Meinung, einer Theorie oder einer Wirklichkeit stehen, sehen wir zunächst das Negative und arbeiten uns daran ab. Oft führt das dazu, dass wir gar keine Energie mehr haben, auf die positiven Aspekte zu blicken. Und viel zu oft beschränken wir uns darauf, zu schimpfen und zu jammern. Ist nicht sehr einladend für jemanden, der behauptet, er habe eine „Frohe Botschaft“ zu verkünden…

Wie wäre es, ganz jesuanisch den anderen Weg einzuschlagen? Zuerst das Positive sehen und würdigen. Dann auf die kritikwürdigen Punkte hinweisen und eine klare Position beziehen. Alles prüfen. (Zuerst) das Gute behalten. (Dann) das Schlechte (und nur das) verwerfen.

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6 Antworten zu “Gefährliches Schwarz-Weiss-Denken”

  1. Danke für diese klugen Worte. Falls es einen Teufel gibt war es einer seiner besten Tricks und einzugeben, dass die Welt in Schwarz und Weiß einteilbar ist. Dadurch entsteht Hass und Unfriede.

  2. Du untertreibst. Katholische Priester sind nicht nur pädophil, sondern haben auch unzählige uneheliche Kinder, sind alle schwul und „erkennen“ alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist 😉

    Danke für deine Worte!

  3. Bei manchen Zuschriften, Kommentaren und Tweets, die mich wegen der letzten beiden vergleichsweise harmlosen Artikel erreichen, frage ich mich: Ob man Mt 10, 16-22 auch auf manche innerkirchliche Diskussionen anwenden kann, wenn einem purer Hass ins Gesicht geschleudert wird?

  4. Deinem Beitrag kann ich durchaus zustimmen. Die Menschen (und damit meine ich nicht nur Katholiken) scheuen tatsächlich die ernsthafte Auseinandersetzung mit den verschiedenen postmodernen Theorien. Ich kann es den Menschen auch nicht verübeln – der Tag hat oft genug eigene Plagen, sodass eine dezidierte Auseinandersetzung oft gar nicht möglich ist. In der Verantwortung stehen meines Erachtens die Schulen und die (Massen-)Medien, die als einzige Institutionen es Vermögen, den Menschen über einen langen Zeitraum hinweg zu beeinflussen. Wie oft muss ich heute feststellen, dass es anscheinend in den Redaktionen der öffentl.-rechtl. Fernsehanstalten einen gewaltigen Mangel an moralischer Kompetenz gibt! Das wirkt sich augenscheinlich auf die Gesellschaft aus (also auch auf die Katholiken), die in dieser Hinsicht nichts weiter ist als ein nachplappernder Papagei. Doch ist dieses Problem der medialen Demagogie nichts Neues. Das gab es immer und wird es immer geben. (Offtopic: Umso wichtiger ist eine professionelle kirchliche Medienarbeit! Es ist beschämend, dass es immer noch Bistümer ohne Twitter und Facebook gibt!)
    Zu den letzten Abschnitten bin ich ein bisschen ratlos. Ich selbst sehe mich meistens konrfontiert mit Angriffen auf die Lehre, die eine Diskussion oft genug schon im voraus unmöglich macht, weil alles, was ich sage nicht stimmen kann. Ich komme oft gar nicht dazu zu sagen: schau doch mal, wir haben eine Schnittmenge, lass uns doch gemeinsam das, was wir glauben weiterentwickeln, voneinander lernen. Da kommt dann halt auch mal der Christus, der die Geldwechsler und Verkäufer aus dem Tempel jagt…

  5. Lieber Carsten,
    „Menschen neigen gerne dazu, Sachverhalte schwarz-weiß-denkend zu umschreiben und zu beurteilen.“ Die Reaktionen auf deine letzten beiden Posts sind der exakte Beleg für. Die hasserfüllten Zuschriften und Posts auf anderen Blogs, mit denen du dich rumplagen musst, sind eine sehr hässliche Seite der katholischen Kirche. Es gibt sie aber überall in der Gesellschft, leider. Wahrscheinlich machen sich die Autoren nicht klar, dass sie mit ihrem Hass, ihren Beleidigungen und Pöbeleien nicht nur dich als Person verletzen, sondern darüber hinaus genau der Kirche Schaden zufügen, die sie zu verteiligen meinen. Ich finde es gut, wenn du so viel Öffentlichkeit wie möglich in Sachen Hater herstellst. Damit wir die Chance haben, dich nach unseren Möglichkeiten zu unterstützen. Pass gut auf dich auf!

  6. Hochwürdiger Herr Pfarrer Leinhäuser,

    ich bin froh und dankbar daß es diese Seite abseits von den schwarz-weissen Seiten gibt. Die Schreihälse auf ihren „katholischen“ Blogs könnten sonst den Eindruck vermitteln, die Kirche sei tatsächlich so.
    Ich wünsche einen gesegneten Advent aus Perth.

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