Franziskus: Gedanken zum Interview mit Antonio Spadaro

Über mehrere Treffen hinweg hat sich der Jesuit Antonio Spadaro mit Papst Franziskus unterhalten. Nachdem ich das Interview gelesen habe, sind mir zwei Dinge aufgefallen:

  1. Inhaltlich gibt es wenige (oder keine) Neuerungen. Das, was Franziskus da sagt, deckt sich zu 100% mit dem Glauben der Kirche.
  2. Und doch ist vieles anders: Der Papst bringt seine Erfahrungen als Seelsorger und Bischof in Argentinien mit und schlägt einen für uns Westeuropäer völlig ungewohnten Ton an. Die „Melodie“ ist eine andere. Der „Rhythmus“ ist neu. Unsere europäische Kirche, die mit Vorliebe über Dogmen und Reformen diskutiert, wird von der südamerikanischen Kirche konfrontiert, in der der Glaube zum Alltag gehört; in der die Theologie einfach und bodenständig ist; in der die Liebe Gottes zum Einzelnen im Mittelpunkt steht (egal, ob er ein Heiliger ist oder ein Sünder).

Wer etwas genauer hinschaut, kann die „neue Melodie“ hören – ob sie gefällt, oder nicht. Beispiele gefällig?

Wer ist Jorge Mario Bergoglio?

„Ich bin ein Sünder, den der Herr angeschaut hat.“

Über die Gemeinschaft

„Ich sehe mich nicht als einsamer Priester: Ich brauche Gemeinschaft. […] Ohne Menschen kann ich nicht leben. Ich muß mein Leben zusammen mit anderen leben.“

Darüber, wie der Papst zu Entscheidungen kommt

„Die Unterscheidung ist eines der Anliegen, die den heiligen Ignatius innerlich am meisten beschäftigt haben. Für ihn ist sie ein Kampfmittel, um den Herrn besser kennenzulernen und ihm aus nächster Nähe zu folgen. [..] Diese Unterscheidung braucht Zeit. Viele meinen zum Beispiel, dass Veränderungen und Reformen kurzfristig erfolgen können. Ich glaube, dass man immer genügend Zeit braucht, um die Grundlagen für eine echte, wirksame Veränderung zu legen. Und das ist die Zeit der Unterscheidung. […] Die Unterscheidung erfolgt immer in der Gegenwart des Herrn, indem wir auf die Zeichen achten, die Dinge, die geschehen, hören, mit den Menschen, besonders mit den Armen, fühlen.
Ich misstraue jedoch Entscheidungen, die improvisiert getroffen wurden. Ich misstraue immer der ersten Entscheidung, das heißt, der ersten Sache, die zu tun mir in den Sinn kommt. Sie ist im Allgemeinen falsch. Ich muß warten, innerlich abwägen, mir die nötige Zeit nehmen.“

Dialog & Autorität

„Der Stil der Gesellschaft Jesu ist nicht der Stil der Diskussion, sondern jener der Unterscheidung, die natürlich die Diskussion im Prozess voraussetzt. […]
Der Jesuit denkt immer weiterführend, in Kontinuität, mit Blick auf den Horizont, in dessen Richtung er gehen soll, während er Christus im Zentrum hat. Das ist seine wahre Stärke, sie spornt ihn dazu an, auf der Suche, schöpferisch und hochherzig zu sein. […]
Dessen ungeachtet sind die Menschen des Autoritarismus überdrüssig. Meine autoritäre und schnelle Art, Entscheidungen zu treffen, hat mir ernste Probleme und die Beschuldigung eingebracht, ultrakonservativ zu sein. […] Mit der Zeit habe ich vieles gelernt. Der Herr hat mir diese Führungspädagogik ungeachtet meiner Fehler und Sünden gewährt.[…]
Ich glaube, dass Konsultation sehr wichtig ist. Die Konsistorien und die Synoden sind zum Beispiel wichtige Orte, um diese Konsultation wahrhaftig und aktiv durchzuführen. Man sollte sie in der Form allerdings weniger starr gestalten. Ich wünsche mir wirkliche, keine formellen Konsultationen.“

Über das Selbstverständnis der Kirche

„Diese Kirche, mit der wir denken und fühlen sollen, ist das Haus aller – keine kleine Kapelle, die nur ein Grüppchen ausgewählter Personen aufnehmen kann. Wir dürfen die Universalkirche nicht auf ein schützendes Nest unserer Mittelmäßigkeit reduzieren. Und die Kirche ist Mutter. Die Kirche ist fruchtbar, und das muss sie sein. […]
Ich sehe ganz klar dass das, was die Kirche heute braucht, die Fähigkeit ist, die Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen – Nähe und Verbundenheit.“

Über junge und alte Kirchen

„Für mich ist das Verhältnis zwischen den älteren Kirchen und den jüngeren ähnlich dem Verhältnis von Jüngeren und Älteren in einer Gesellschaft: Sie bauen die Zukunft – die Einen mit ihrer Kraft, die Anderen mit ihrer Weisheit. Sie gehen selbstverständlich immer Risiken ein. Die jüngeren Kirchen halten sich für selbständig und autonom, die älteren wollen den Jüngern ihre kulturellen Modelle aufdrücken. Die Zukunft baut man aber miteinander.“

Über Vorschriften & Gesetze

„Die Kirche hat sich manchmal in kleine Dinge einschließen lassen, in kleine Vorschriften. Die wichtigste Sache ist aber die erste Botschaft: ‚Jesus Christus hat dich gerettet.‘ […]
Die Diener der Kirche müssen barmherzig sein, sich der Menschen annehmen, sie begleiten – wie der gute Samariter, der seinen Nächsten wäscht, reinigt, aufhebt. Das ist pures Evangelium. Gott ist größer als die Sünde. […]
Es ist eindrucksvoll, die Anklagen wegen Mangel an Rechtgläubigkeit, die in Rom eintreffen, zu sehen. Ich meine, dass diese von den Bischofskonferenzen untersucht werden müssen, die ihrerseits eine Hilfe aus Rom bekommen können. Die Fälle werden besser an Ort und Stelle behandelt. Die römischen Dikasterien sind Vermittler, sie sind nicht autonom.“

Über Reformen

„Die organisatorischen und strukturellen Reformen sind sekundär, sie kommen danach. Die erste Reform muss die der Einstellung sein. Die Diener des Evangeliums müssen in der Lage sein, die Herzen der Menschen zu erwärmen, in der Nacht mit ihnen zu gehen. Sie müssen ein Gespräch führen und in die Nacht hinabsteigen können, in ihr Dunkel, ohne sich zu verlieren. Das Volk Gottes will Hirten und nicht Funktionäre oder Staatskleriker. […]
Wir müssen eher Prozesse in Gang bringen als Räume besetzen.“

Über „heiße Eisen“

„Wir können uns nicht nur mit der Frage um die Abtreibung befassen, mit homosexuellen Ehen, mit der Verhütungsmethoden. Das geht nicht. Ich habe nicht viel über diese Sachen gesprochen. Das wurde mir vorgeworfen. Aber wenn man davon spricht, muss man den Kontext beachten. Man kennt ja übrigens die Ansichten der Kirche, und ich bin ein Sohn der Kirche. Aber man muss nicht endlos davon sprechen.“

Über die Mission der Kirche

„Die Lehren der Kirche – dogmatische wie moralische – sind nicht alle gleichwertig. Eine missionarische Seelsorge ist nicht davon besessen, ohne Unterscheidung eine Menge von Lehren aufzudrängen. Eine missionarische Verkündigung konzentriert sich auf das Wesentliche, auf das Nötige. Das ist auch das, was am meisten anzieht, was das Herz glühen lässt – wie bei den Jüngern von Emmaus. Wir müssen also ein neues Gleichgewicht finden, sonst fällt auch das moralische Gebäude der Kirche wie ein Kartenhaus zusammen, droht, seine Frische und den Geschmack des Evangeliums zu verlieren. Die Verkündigung des Evangeliums muss einfacher sein, tief und ausstrahlend. Aus dieser Verkündigung fließen dann die moralischen Folgen.“

Über die Frauen

„Die Räume einer einschneidenden weiblichen Präsenz in der Kirche müssen weiter werden. Ich fürchte mich aber vor einer „Männlichkeit im Rock“, denn die Frau hat eine andere Struktur als der Mann. Die Reden, die ich über die Rolle der Frau in der Kirche höre, sind oft von einer Männlichkeits-Ideologie inspiriert. Die Frauen stellen tiefe Fragen, denen wir uns stellen müssen. Die Kirche kann nicht sie selbst sein ohne Frauen und deren Rolle. Die Frau ist für die Kirche unabdingbar. […] Der weibliche Genius ist nötig an den Stellen, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden. Die Herausforderung heute ist: reflektieren über den spezifischen Platz der Frau gerade auch dort, wo in den verschiedenen Bereichen der Kirche Autorität ausgeübt wird.“

Über den alten Ritus

„Ich denke, dass die Entscheidung von Papst Benedikt weise gewesen ist. Sie war verbunden mit der Hilfe von einigen Personen, die diese besondere Sensibilität haben. Ich finde aber das Risiko einer Ideologisierung des ‚Ordo Vetus‘, seine Instrumentalisierung, sehr gefährlich.“

Über das Jammern

„Der – sagen wir – ,konkrete Gott‘ ist heute. Daher hilft das Jammern nie, nie, um Gott zu finden. Die Klage darüber, wie barbarisch die Welt heute sei, will manchmal nur verstecken, dass man in der Kirche den Wunsch nach einer rein bewahrenden Ordnung, nach Verteidigung hat. Nein – Gott kommt im Heute entgegen.“

Über Ideologien in der Kirche

„Wenn der Christ ein Restaurierer ist, ein Legalist, wenn er alles klar und sicher haben will, dann findet er nichts. Die Tradition und die Erinnerung an die Vergangenheit müssen uns zu dem Mut verhelfen, neue Räume für Gott zu öffnen. Wer heute immer disziplinäre Lösungen sucht, wer in übertriebener Weise die ‚Sicherheit‘ in der Lehre sucht, wer verbissen die verlorene Vergangenheit sucht, hat eine statische und rückwärts gewandte Vision. Auf diese Weise wird der Glaube eine Ideologie unter vielen.“

Über das Beten

„Das Gebet ist für mich immer ein ‚Erinnerungs‘-Gebet, voll von Erinnerungen, von Gedenken, auch Denken an meine Geschichte oder an das, was der Herr in seiner Kirche oder einer bestimmten Pfarrei gemacht hat. […] Ich frage mich: ‚Was hast du für Christus getan? Was tue ich für Christus? Was muss ich tun für Christus?‘ […] Aber ich weiß auch, dass der Herr sich meiner erinnert. Ich könnte ihn sogar vergessen. Aber ich weiß, dass Er mich nie, nie vergisst.

Quelle: Stimmen der Zeit

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Eine Antwort zu “Franziskus: Gedanken zum Interview mit Antonio Spadaro”

  1. Danke für die Zusammenfassung. Sehr interessant. Je mehr ich von unserem jetzigen Papst höre und sehe um so begeisterter und berührter bin ich.

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