Am 4. Dezember veröffentlicht der Vatikan die Ergebnisse der päpstlichen Kommission zum Frauendiakonat. Ein Dokument voller Widersprüche und Unklarheiten.
Das Ergebnis klingt wie die Antwort eines Politikers, der wortreich auf unbequeme Fragen reagiert, ohne wirklich eine Antwort zu geben. Vielleicht, weil er spürt, dass ihm die Argumente ausgehen: „Frauen sollten das vielleicht eher nicht können dürfen – aber vielleicht irgendwann ja doch irgendwie.“
Hier eine kritische Analyse…
Die logischen Brüche im Kommissionsbericht
1. Ein Nein ohne tragfähige Begründung
Eine der gravierendsten Schwachstellen des Berichts: Die dogmatische These, dass nur Männer geweiht werden können, weil Jesus ein Mann war, fand keine Mehrheit. Das Abstimmungsergebnis: 5 zu 5. Patt. Trotzdem kommt die Kommission zu dem Schluss, dass Frauen derzeit nicht zum Diakonat zugelassen werden können.
Logisches Problem: Wenn die Hauptbegründung für den Ausschluss von Frauen gerade einmal von der Hälfte der Expert*innen geteilt wird, auf welcher theologischen Grundlage steht dann die Ablehnung? Dies erinnert an ein Urteil ohne überzeugendes Beweismittel.
2. Gleichzeitig ausgeschlossen und offen?
Der Bericht formuliert: Die Möglichkeit sei „ausgeschlossen“, gleichzeitig aber „kein endgültiges Urteil“ möglich, und die Frage bleibe „offen für weitere theologische Vertiefungen“.
Logisches Problem: Diese Position ist in sich widersprüchlich. Etwas kann nicht gleichzeitig ausgeschlossen und offen sein. Dies deutet auf einen faulen Kompromiss hin, der verschiedene Lager besänftigen soll, aber theologisch inkohärent ist.
3. Die selektive Berufung auf Geschichte
Die historischen Befunde sind komplexer, als oft dargestellt. Die erste Kommission stellte fest: „Die Kirche hat zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten und in verschiedenen Formen den Titel Diakonin für Frauen anerkannt, ihm aber eine nicht eindeutige Bedeutung zugeschrieben.“
Die zweite Kommission präzisiert: Das Frauendiakonat sei „ein eigenständiges Amt (ministerium sui generis)“ gewesen, das „nicht in der Linie der apostolischen Sukzession“ stand und keinen durchgehend sakramentalen Charakter hatte.
Theologisches Problem: Diese Differenzierung wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Wenn die frühe Kirche verschiedene Formen von Diakoninnen-Diensten kannte – warum kann die heutige Kirche nicht neue, der Zeit angemessene Formen entwickeln? Das männliche Diakonat hat sich ebenfalls erheblich gewandelt. Warum werden historische Ambivalenzen nur beim Frauendiakonat als Ausschlusskriterium gewertet?
4. Angst statt Theologie
Ein wiederkehrendes Argument der Gegner ist die Befürchtung, das Diakonat für Frauen würde die „Tür zum Priesteramt öffnen“.
Methodisches Problem: Dies ist ein strategisches, kein theologisches Argument. Wenn Diakonat und Priestertum sakramententheologisch unterschiedlich zu bewerten sind – wofür die unterschiedliche Behandlung im Bericht spricht – darf diese Angst keine Rolle spielen. Gute Theologie fragt nach Wahrheit, nicht nach Risikomanagement.
Die zwei unvereinbaren theologischen Schulen
Die fundamentale Spannung: Zwei theologische Denkrichtungen stehen sich unversöhnlich gegenüber.
Schule 1 („ad ministerium“): Die Diakonenweihe geschieht zum Dienst, nicht zum Priestertum (Lumen Gentium 29). Wenn das Diakonat primär Dienstamt ist, warum sollten Frauen ausgeschlossen sein?
Schule 2 („Einheit des Ordo“): Das Weihesakrament ist unteilbar. Der Bericht zitiert: „Die Maskulinität Christi und damit die Maskulinität der Ordinierten ist nicht zufällig, sondern integraler Bestandteil der sakramentalen Identität […] Eine Änderung wäre ein Bruch mit der bräutlichen Bedeutung der Erlösung.“ Zudem die selbstentlarvende Warnung: Diakonat für Frauen würde den Ausschluss vom Priestertum „unerklärlich“ machen.
Kritik: Keine theologische Einigkeit bedeutet: keine zwingende Begründung für den Ausschluss. Der Rückzug aus „Vorsicht“ ist Kapitulation, keine Lösung. Bei gleichstarken Argumenten (5:5-Patt) müsste die Freiheit Vorrang haben – nicht der Ausschluss. Insbesondere dann, wenn die Argumente FÜR eine Gleichberechtigung im Amt theologisch und biblisch nicht von der Hand zu weisen sind.
Biblische Argumente für die Gleichberechtigung im Amt
Galater 3,28: Die radikale Gleichheit in Christus
„Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“
Paulus formuliert hier eine der revolutionärsten Aussagen der Antike. Die in Christus begründete Einheit überwindet alle sozialen, ethnischen und geschlechtlichen Hierarchien. Wenn die Taufe uns gleichermaßen zu Gliedern am Leib Christi macht (1 Kor 12,13), gibt es keine theologische Rechtfertigung für den Ausschluss von Frauen.
Genesis 1,27: Das Ebenbild Gottes kennt kein Geschlecht
„Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn. Männlich und weiblich schuf er sie.“
Die Gottebenbildlichkeit wird beiden Geschlechtern gleichermaßen zugesprochen. Wenn beide gleichermaßen Gottes Bild repräsentieren, warum sollte nur das männliche Geschlecht Christus sakramental repräsentieren können? Die „Christus war ein Mann“-Argumentation reduziert die Inkarnation auf biologische Geschlechtlichkeit und ignoriert, dass Christus Mensch wurde.
Die Praxis Jesu: Frauen als Zeuginnen und Apostelinnen
Maria Magdalena verkündet als „Apostelin der Apostel“ den männlichen Jüngern die Auferstehung (Joh 20,17-18). Die Samariterin wird zur ersten Missionarin (Joh 4,28-30). Frauen sind die letzten unter dem Kreuz und die ersten am leeren Grab – während die männlichen Jünger geflohen waren.
Die Berufung von ausschließlich männlichen Aposteln erfolgte in einem jüdisch-patriarchalen Kontext, in dem Frauen nicht als öffentliche Zeuginnen galten. Jesus handelte bereits radikal, indem er Frauen zu Jüngerinnen machte. Die Zwölf-Männer-Struktur ist kulturell-kontextuell zu verstehen, nicht als ewiges göttliches Prinzip.
Römer 16: Frauen in Leitungsfunktionen
Paulus grüßt Phöbe, eine „Diakonin“ (διάκονος) der Gemeinde von Kenchreä, Junia, „angesehen unter den Aposteln“, und Priska, die mit ihrem Mann eine Hausgemeinde leitet. Die Übersetzung von διάκονος als „Dienerin“ statt „Diakonin“ bei Phöbe ist tendenziös – bei Männern wird dasselbe Wort mit „Diakon“ übersetzt. Die neutestamentlichen Gemeinden kannten Frauen in Leitungsfunktionen. Der spätere Ausschluss ist kulturelle Anpassung, keine göttliche Anordnung.
Die Gerechtigkeitsperspektive: Ein moralisches Versagen
Die katholische Soziallehre betont die Würde jedes Menschen und das Prinzip der Teilhabe. Doch in der eigenen Institution werden Frauen systematisch von Entscheidungs- und Leitungsfunktionen ausgeschlossen. Das Paradox: Die Kirche, die weltweit für Gerechtigkeit eintritt, praktiziert intern eine Diskriminierung, die sie gesellschaftlich verurteilen würde.
In jeder modernen Rechtsordnung gilt: Wer Menschen aufgrund unveränderlicher Merkmale von Funktionen ausschließt, trägt die Beweislast. Diese ist nicht erfüllt, wenn die Hälfte der Expert:innen die Hauptbegründung ablehnt.
Das Zweite Vatikanische Konzil betonte die Pflicht, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen“ (Gaudium et Spes 4). Zu diesen Zeichen gehört die Erkenntnis der Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Frage an die Kirche: Ist es der Heilige Geist oder patriarchale Tradition? Die jahrhundertelange theologische Rechtfertigung der Sklaverei sollte zur Vorsicht mahnen.
Die Doppelmoral bei der Teilhabe
Ein bemerkenswerter Aspekt des Kommissionsberichts offenbart die Widersprüchlichkeit der Position: Die Kommission stimmte einstimmig (9 zu 1) für folgende These:
„Es ist heute angemessen, den Zugang von Frauen zu institutionalisierten Diensten für den Dienst an der Gemeinschaft zu erweitern. […] Es obliegt nun dem Unterscheidungsvermögen der Hirten zu bewerten, welche weiteren Dienste für die konkreten Bedürfnisse der Kirche unserer Zeit eingeführt werden können, um so auch eine angemessene kirchliche Anerkennung der Diakonie der Getauften, insbesondere der Frauen, zu gewährleisten. Diese Anerkennung wird ein prophetisches Zeichen sein, besonders dort, wo Frauen noch unter geschlechtsbezogener Diskriminierung leiden.“
Die Paradoxie: Die Kommission erkennt also an, dass:
- Frauen Zugang zu mehr kirchlichen Diensten haben sollten
- Die Diakonie von Frauen kirchliche Anerkennung verdient
- Dies ein „prophetisches Zeichen“ gegen Geschlechterdiskriminierung wäre
Die kritische Frage: Wenn Geschlechterdiskriminierung falsch ist und Frauen zu allen möglichen Diensten befähigt sind – warum dann nicht zum sakramentalen Diakonat? Was unterscheidet einen nicht-sakramentalen „institutionalisierten Dienst“ vom sakramentalen Diakonat, außer der kirchlichen Anerkennung durch Weihe?
Dies wirkt wie der Versuch, Frauen mit einer „Beinahe-Lösung“ zu beschwichtigen, während man ihnen die eigentliche Anerkennung vorenthält. Die Kirche gibt zu, dass Diskriminierung falsch ist – praktiziert sie aber weiter in ihrer heiligsten Institution, dem Sakrament.
Weitere theologische Argumente für Frauenweihe
1. Das pneumatologische Argument: Die Pfingsterzählung betont, dass der Geist auf alle ausgegossen wird – „auf eure Söhne und eure Töchter“ (Apg 2,17). Wenn der Geist Frauen zur Verkündigung, Prophetie und Leitung befähigt, mit welchem Recht verwehrt die Kirche die sakramentale Beauftragung?
2. Das sakramententheologische Argument: Sakramente sind efficax signa – wirksame Zeichen, die verstanden werden müssen, um zu wirken. In einer Welt, die Gleichberechtigung erkannt hat, wirkt der Ausschluss nicht als Zeichen göttlicher Ordnung, sondern menschlicher Diskriminierung. Das Sakrament wird unglaubwürdig.
3. Das missionarische Argument: Wie kann die Kirche glaubwürdig von der Würde aller sprechen, wenn sie die Hälfte der Menschheit von zentralen Ämtern ausschließt? In vielen westlichen Ländern verlassen vor allem junge Frauen die Kirche – nicht selten wegen Geschlechtergerechtigkeit. Der Ausschluss ist ein missionarisches Hindernis ersten Ranges.
Die „sponsale“ Theologie: Eine problematische Metapher
Ein zentrales Argument der Gegner ist die „bräutliche Theologie“: Christus (der Bräutigam) und die Kirche (die Braut). Nur Männer könnten Christus den Bräutigam repräsentieren.
Probleme dieser Argumentation:
1. Metaphern sind keine Dogmen: Die „Braut Christi“-Metapher ist eine von vielen biblischen Bildern (Leib, Volk, Tempel, Weinstock). Warum wird gerade diese überbetont und biologisiert auf Geschlechtsmerkmale reduziert?
2. Ausblendung der Erlösung: Christus ist nicht primär als „Mann“ Erlöser, sondern als Mensch. „Was nicht angenommen ist, ist nicht erlöst“ (Gregor von Nazianz) – Christus hat die ganze Menschheit angenommen, nicht nur das männliche Geschlecht.
3. Heteronormative Engführung: Die Ehe-Metaphorik setzt ein männliches Gottesbild absolut. Die Bibel kennt auch weibliche Gottesbilder (z.B. die gebärende Mutter in Jes 42,14). Ist Gott wirklich so leicht auf männliche Attribute begrenzbar?
Die marianische Falle: Heilige Mutter statt Amtsträgerin
Der Kommissionsbericht endet mit einem bemerkenswerten Appell: „Die ‚marianische Dimension‘ muss als Seele jeder ‚Diakonie‘ in der Kirche und in der Menschheit immer besser verstanden und entwickelt werden.“
Was auf den ersten Blick wie eine Wertschätzung klingt, offenbart bei genauerem Hinsehen eine problematische Rollenzuweisung: Die katholische Theologie unterscheidet traditionell zwischen einem „marianischen Prinzip“ (empfangend, dienend, mütterlich) und einem „petrinischen Prinzip“ (leitend, amtlich, sakramental). Frauen werden auf Maria verwiesen, Männer auf Petrus und die Apostel.
Probleme dieser Rollenzuweisung:
- Biologisierung geistlicher Berufung: Warum sollen Frauen primär „marianisch“ sein und Männer „petrinisch“? Diese Zuordnung basiert auf Geschlechterstereotypen, nicht auf individuellen Charismen.
- Verklärung der Subordination: Maria wird als Ideal der Demut und des Gehorsams präsentiert – Tugenden, die von Frauen erwartet werden, während Männer zur Leitung berufen sind. Das ist struktureller Sexismus in theologischem Gewand.
- Ausblendung von Marias prophetischer Rolle: Maria ist nicht nur die demütige Magd. Ihr Magnificat (Lk 1,46-55) ist einer der revolutionärsten Texte des Neuen Testaments: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.“ Maria als prophetische Stimme gegen Ungerechtigkeit passt nicht ins brave „marianische Prinzip“.
- Historische Willkür: Andere Frauen im Neuen Testament – Maria Magdalena, Junia, Priska, Phöbe – hatten durchaus „petrinische“ (also amtliche) Funktionen. Warum werden sie ignoriert?
Die theologische Konsequenz: Der Verweis auf die „marianische Dimension“ am Ende des Berichts ist kein Zufall. Er ist der Versuch, Frauen auf eine vermeintlich „höhere“ spirituelle Ebene zu heben, um ihnen die konkrete amtliche Ebene zu verweigern.
Diese Strategie ist aus der Geschichte bekannt: Wenn man Menschen von der Macht ausschließen will, erklärt man sie für „zu gut“ oder „zu heilig“ für das schmutzige Geschäft der Leitung. Frauen werden auf ein Podest gestellt – und genau dadurch in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt.
Die befreiende Alternative: Maria UND Petrus. Frauen sind zu beidem berufen – zu spiritueller Tiefe UND zu konkreter Leitung. Das eine schließt das andere nicht aus, sondern sollte es befruchten.
Welche Perspektiven gibt es; welche Schritte könnten jetzt anstehen?
- Ehrliche Theologie statt Taktik: Die Frage darf nicht aus Angst vor Konsequenzen entschieden werden, sondern aufgrund theologischer Wahrheit.
- Echte Partizipation: Nur 22 Gruppen aus wenigen Ländern haben Stellungnahmen eingereicht – ein Armutszeugnis für einen synodalen Prozess. Die Kirche muss die Gläubigen aktiv einbeziehen.
- Dezentrale Lösungen: Ortskirchen, die bereit sind, könnten beim Frauendiakonat vorangehen – wie Papst Leo XIV. und sein Vorgänger die Dezentralisierung betont haben.
- Weiterforschen: Die Kommission selbst sagt, weitere theologische Vertiefung sei nötig. Diese Arbeit darf nicht verstummen. Nicht-sakramentale Dienste sind wichtig, dürfen aber nicht als Ersatzlösung die Kernfrage umgehen.
- Gelebte Gleichberechtigung: Frauen, die diakonale und priesterliche Dienste faktisch ausüben, sollten dies weiter tun – mit oder ohne Weihe. Kirchengeschichte zeigt: Veränderung braucht Zeit, aber sie geschieht.
Fazit: Ein Dokument der Ratlosigkeit – und eine Chance
Der Kommissionsbericht ist in seiner Ambivalenz fast ehrlicher als ein klares Nein: Er zeigt, dass die katholische Theologie in dieser Frage gespalten ist; dass es keine zwingenden Argumente gegen die Frauenweihe gibt, und dass die Tür theologisch offen steht.
Die zentrale Erkenntnis: Wenn die Hälfte der Expert*innen die Hauptbegründung für den Ausschluss ablehnt, dann ist dieser Ausschluss nicht gottgewollt, sondern menschengemacht. Und was Menschen gemacht haben, können Menschen auch ändern.
Die Frage ist nicht, ob die Kirche sich öffnen wird, sondern wann. Und wie viele Frauen und Männer sie bis dahin verloren haben wird.
„Der Geist und die Braut aber sagen: Komm!“ (Offb 22,17) – Vielleicht ist es Zeit, dass die Kirche auf die Stimme der Braut hört.
