Während Phil durch den Garten humpelt (er hat sich beim Spielen an der Pfote verletzt) checke ich meine Mails.
Thomas hat mich angeschrieben (Name geändert). Ich kenne ihn nicht. Er stellt sich mir vor und erzählt mir seine Geschichte. Seine Lebensgeschichte davon, wie er jegliches Vertrauen in die Kirche und ihr Bodenpersonal verloren hat. Darüber hinaus auch den Glauben an Gott. Die Geschichte eines Kindes, eines Jugendlichen, eines erwachsenen Mannes, der wieder und wieder Ablehnung und Verletzung erfahren hat. Warum? Weil er „anders“ ist. Homosexuell.
Thomas hat’s geschafft, sich im Lauf seines Lebens zu emanzipieren. Er schreibt, dass das ein langer und harter Weg war. Und dann… bedankt er sich. Für meinen Einsatz als Verbündeter queerer Menschen.
„Du bist so still, Carsten“ unterbricht der Hund mein Grübeln. „Du schaust so ernst.“
Ich atme tief durch. Thomas’ Geschichte berührt mich. Ich schäme mich (für all das, was er durch „Gottes Bodenpersonal“ durchmachen musste), bin traurig (weil ich mir wohl nur im Ansatz vorstellen kann, wie viele Verletzungen ein solcher Mensch aushalten musste oder muss) und freue mich gleichzeitig über die schöne Rückmeldung.
„Ach Phil“ seufze ich und lese ihm die lange Mail von Thomas vor.
Schweigend sitzen wir danach im Garten und betrachten die blühende Natur.
„Weißt du“ sage ich schließlich „die letzten Tage habe ich mehr als einmal darüber nachgedacht, warum ich das alles überhaupt mache…“
„Wie? Du hast darüber nachgedacht, hinzuschmeißen?“
„Ehrliche Antwort?“
„Bitte.“
„Ja.“
„Wieso?“
„Naja. Du hast doch mitbekommen, was nach unserem Fronleichnamsfest abging. All die Hasskommentare von erzkonservativen Katholiken. Darüber, dass eine Frau es gewagt hat, mit bloßen Händen die Monstranz zu tragen, Jesus zu berühren. Das Ereifern darüber, dass einzelne Teilnehmende an unserer Prozession kurze Hosen getragen haben. Das Schimpfen über den Pfarrer, der Luftballons in der Hand hält. Die „Anathema!“-Rufe. Die Aufforderungen, Briefe an den Bischof zu schreiben. Die Kommentare, die dazu aufgerufen haben, Typen wie mich zu bekämpfen. Die pauschalen Urteile über unsere Gemeinde, die angeblich den Glauben verloren habe. Dabei haben wir doch einfach nur ein wunderschönes und fröhliches Glaubensfest gefeiert. Und dann immer wieder die Kommentare und Briefe, die sich darüber beschweren, dass ich gendere. Oder es wage, in bunter Kleidung in die Öffentlichkeit zu gehen. Undundund…“
„Du hast aber schon gesehen“ räuspert sich der Vierbeiner „dass die besonders krassen Kommentare vor allem von Leuten kommen, die AFD-Fans sind und mit rechtem Gedankengut nahestehen?“
„Klar. Da scheints wohl ne ziemlich ungesunde Verbindung zu geben. Zwischen den Erzkonservativen und den Nazis.“
„Warum juckt’s dich dann?“
„Weil ich es nicht verstehe, wie solche Menschen sich Christen nennen und dabei die Frohe Botschaft mit Füßen treten. Mit Anlauf. Werde ich wohl nie verstehen.“
„Verstehe.“
„Und es fällt mir so schwer zu verstehen, aus welcher Motivation manche konservative Christen, die ich eigentlich schätze, sich so sehr auf Äußerlichkeiten und Regeln versteifen. Warum es für sie ein so großes Problem ist, wenn wir aus echter Liebe zu Jesus und aus Überzeugung Zeichen setzen. Zeichen dafür, dass jeder Mensch Gottes Kind ist…“
„Ach Carsten“ murmelt der Hund. „Vielleicht wäre es manchmal besser, sich die Probleme der Anderen nicht zu sehr zu eigen zu machen. Am Ende des Tages müssen DIE doch mit ihrem Hass und mit ihrem Eifern nach Hause gehen und klar kommen. Ich mein: Jesus hat’s doch auch nicht geschafft, die Pharisäer zu überzeugen. Warum solltest du es dann hinbekommen?“
„Wo du Recht hast…“
„Und jetzt?“ fragt Phil.
Ich hole tief Luft. „Besser.“
„Besser?“
„Ja. Viel besser. Im Moment ist vieles echt anstrengend. Da bringt mich vieles zum Zweifeln und Fragen. Aber der Thomas hat mir geholfen. Der ist ein Segen.“
„Warum?“
„Weißt du. Wenn ich mit meinem Leben und Tun auch nur ein paar Menschen Hoffnung weitergeben kann und sie stärken darf. Wenn solche Menschen mir sogar noch ein kleines „Danke“ schicken. Dann ist es das wert. Dann gibt mir das Mut, weiterzugehen. All die Anfeindungen auszuhalten.“
„Und vergiss nicht“ sagt Phil „wie viele Menschen genau das tun. Wie viele Menschen sich miteinander stark machen. Für die Ausgegrenzten und Verletzten. Ich glaub, Eurem Jesus würde das ziemlich gefallen.“