„Aqui!“
Nichts passiert.
„Aqui!“ rufe ich erneut.
Knapp 50 Meter hinter mir hebt der Hund seinen Kopf. Er überlegt kurz und entscheidet sich, erst mal den Baumstumpf zu markieren, den er seit zwei Minuten ausgiebig erschnüffelt.
„Alleweile awwer dabber!“ wechsle ich die Sprache. Vom portugiesischen „Hier!“ zum saarländischen „Es wäre schön, wenn du die Güte hättest, dich in meine Richtung zu bewegen.“ Oder so.
Mit wackelndem Po und im gemächlichem Trab kommt mir Phil entgegen. Ohne Eile. Man hat ja alle Zeit der Welt.
„Grandiose Leistung“ raune ich dem Vierbeiner zu, als er endlich vor mir steht.
„Klar doch. Kannst auf mich zählen.“ grinst Phil mit unschuldig-zuckersüßer Miene.
„Du weißt schon, was „Aqui“ bedeutet?!“
„Dass ich kommen soll. Hab ich doch gemacht.“
„Dass Du SOFORT kommen sollst. Ohne Schnüffel-, Markier- und Pipi-Pausen.“
„Entspann dich, Carsten. Bin doch da. Alles gut, oder?“
„Nee.“ entgegne ich. „Wenn ich Aqui rufe, möchte ich, dass du wirklich sofort kommst.“
Phil setzt sich aufrecht vor mich hin, hebt die rechte Pfote und salutiert.
„Jawoll, Herr Oberfeldwebel! Zu Befehl, Heiliger Vater!“
Ich schnaufe. Überlege.
Noch bevor ich etwas sagen kann, meldet sich Phil erneut zu Wort. „Weißte“ sagt er „ich bin halt ein Lebewesen. Keine Maschine. Da muss doch nicht immer alles perfekt und 100 Prozent sein, oder?“
„Ja, aber…“
„Nix aber“ unterbricht Phil „Ständig motzt du an mir rum. Dauernd hast Du was zu nörgeln. Wie gut ist denn gut genug?“
„Also…“
„Bin noch nicht fertig“ redet sich der Hund in Rage. „Weißt du. Die Jünger vom Jesus. Und die Jüngerinnen. Die waren doch auch nicht perfekt. Die waren zu alt, zu jung, zu flapsig, zu dickschädelig. Die waren Ex-Gauner und Hitzköpfe, kamen aus’m horizontalen Gewerbe, waren zu dumm, zu langweilig, zu vorlaut und und und. Trotzdem durften die dabei sein und mitgehen.“
Einen Moment lang ringe ich um Fassung.
Keine Ahnung, wie der Hund jetzt da drauf kommt.
„Okay. Die Jünger*innen. Schon klar. Die waren ein wild zusammengewürfelter Haufen. Lauter schräge und quere Typen. Charakterköpfe.“
„Eben. Und der Jesus hat gar nicht erst versucht, die zu ändern. Der hat auch nicht dauernd „Aqui“ geplärrt.“
„Nee“ antworte ich. „Hat er nicht. Aber er hat sie schon hin und wieder mal eingenordet. Wenn’s ihm zu bunt wurde, hat er klare Ansagen gemacht.“
Der Vierbeiner denkt nach. Man sieht es förmlich rattern in seinem Gehirnkasten.
„Mag sein“ sagt er schließlich. „Aber er hat auch akzeptiert, dass sie Macken hatten. Er hat den Petrus zum Anführer seiner Gruppe gemacht, obwohl der ein echt wankelmütiger Typ war. Der war ihm gut genug. Obwohl er abgehauen ist, als es hart auf hart kam. Der Jesus. Der wollte keine Soldaten oder Befehlsempfänger. Der wollte Freundinnen und Freunde.“
„Ach Phil.“ Ich setze mich neben den Hund auf den Waldboden und schaue ihm in die Augen.
„Du bist doch mein Freund. Du bist gut genug. Und so viel mehr.“ sage ich und kraule ihn hinter den Ohren. „Du sollst auch gar nicht funktionieren wie ein Soldat oder ein Roboter. Ich mag dich. Mit deinen Macken und allem drum und dran. Du bist du. Und du bist echt super.“
„Danke“ lächelt der Vierbeiner.
„Nur beim Aqui. Da will ich wirklich, dass es funktioniert. Das rufe ich ja nicht zum Spaß. Sondern, um Dich und Andere zu beschützen. Könnte ja sein, dass uns Menschen entgegenkommen. Oder andere Hunde. Oder dass sonst eine Gefahr lauert. Ich muss dir echt vertrauen können, dass das klappt. Wenn nicht, muss ich dich an die Leine nehmen.“
Phil wirft mir einen kritischen Blick zu. „Hmmm“ grummelt er.
„Wie wär’s denn, wenn du das Aqui als einen Deal zwischen uns beiden verstehen würdest. Eine Vereinbarung, die dabei hilft, dass ich dir so viel Freiheit geben kann, wie’s nur geht.“
Der Vierbeiner braucht einen Moment.
„Und wenn’s mit dem Aqui klappt, darf ich ganz viel frei rumwuseln?“ hakt er nach.
„Genau das.“
„Und wenn’s mal nicht klappt… weil’s gerade so spannend duftet oder so… hast du mich trotzdem lieb? Dann bin ich trotzdem gut genug?“
„Ja, Hase. Du bist immer gut genug. Auch, wenn du mir manchmal den letzten Nerv raubst.“
„Okay. Dann lass es uns versuchen“ ruft der Hund und sprintet los.
„Aqui!“ rufe ich.
Phil legt eine Vollbremsung hin und kommt mir entgegengerannt.
„Siehste“ sag ich. „Geht doch.“
„Klaro. Wie wär’s denn mit nem Leckerli für meine Meisterleistung?“
Ich krame in der Tasche und gebe dem Hund das größte Leckerli, dass ich darin finden kann.
„Mahlzeit.“
„Amen.“
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