Gewalt

Trigger-Warnung: In diesem Gespräch zwischen Phil und mir wird es um das Thema (häusliche und sexualisierte) Gewalt an Frauen gehen. Wenn Euch dieses Thema betrifft, überlegt bitte, ob ihr den Text wirklich lesen wollt. Gerne könnt Ihr Euch (auch anonym) beraten lassen: Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ 116016 oder per Chat unter www.hilfetelefon.de / Telefonseelsorge 0800 1110111 oder per Chat unter www.telefonseelsorge.de

Eine feuchte Hundenase stuppst mich von der Seite an.
„Du, Carsten?“
„Ja, Phil?“
„Siehst scheisse aus.“
„Na danke.“
„Nee. So mein ich das nicht. Irgendwie traurig. Genervt. Betrübt.“
„Joah“ sage ich mich und schaue in große, fragende Hundeaugen. „Mir geht’s gerade nicht gut.“
„Warum?“

„Ach Phil…“ seufze ich und klappe mein Laptop zu.
Der Vierbeiner hüpft mit den Vorderpfoten auf meine Knie und legt seinen Kopf in meinen Schoß. „Was los?“

Ich schnaufe erneut und erzähle, dass ich in den letzten Wochen vermehrt Seelsorgegespräche geführt habe. Davon, dass es in beinahe der Hälfte dieser Gespräche um Gewalterfahrungen ging. Meistens um Frauen, die unter verschiedenen Formen von Gewalt in ihrer Partnerschaft leiden.

Ich erzähle dem kleinen Hund alles. Weil er (neben Gott) das einzige Wesen ist, mit dem ich ganz offen darüber sprechen kann, ohne meine Schweigeverpflichtung zu verletzen…
Während ich erzähle, beginne ich zu zittern. Zu weinen. Aus Wut. Aus Frust. Aus Hilfslosigkeit. Whatever. Hier und jetzt muss ich weder professionell sein, noch ein Pokerface aufsetzen. Letzteres würde mein Hund ohnehin entlarven.

„Das nimmt dich ganz schön mit.“ meint Phil schließlich, nachdem er mir geduldig zugehört hat.
„Ja. Es nimmt mich mit. Und es macht mich sowas von wütend.“
„Was macht dich denn wütend?“
„Ernsthaft?“ frage ich.
„Ernsthaft. Was macht dich wütend?“

Ich überlege.
„Es macht mich wütend, dass es solche A…löcher gibt, die ihre Partnerinnen dermaßen krass verletzen und manipulieren. Es macht mich wütend, dass ich nicht hingehen und denen auf die Fresse schlagen kann. Es macht mich wütend, dass ich nicht mal die Polizei rufen darf oder sonst irgendeine Handhabe habe.“
„Moment“ unterbricht mich der Hund. „Du darfst das nicht anzeigen?“
„Nein“ erkläre ich. „Ich darf und sollte das nicht tun. Die betroffenen Frauen sind die einzigen, die mir dazu einen Auftrag geben können. Wenn sie das nicht wollen, muss ich mich daran halten.“

„Und die wollen das nicht?“
„Ach Phil“ sage ich. „Wir Menschen sind manchmal echt komplexe Wesen. Du glaubst nicht, wie viele der Frauen trotz allem zu ihrem Partner halten. Wie viele von ihnen ganz deutlich sagen, dass sie einfach nur hoffen, dass es mal besser wird. Und dass ich bitte nichts tun soll.“
„Und dann?“
„Dann versuche ich, ihnen Gesprächspartner*innen und Hilfeangebote zu vermitteln. Manche nehmen das an. Andere nicht. Ich kann niemanden zwingen, sich Hilfe zu holen.“

„Die lassen sich also weiter schlagen?“
Ich schnaufe. „Zu oft. Ja. Ihr Partner verspricht, sich zu ändern. Das hält eine Weile. Mal länger, mal kürzer. Dann geht’s weiter.“
Der schwarze Hund schüttelt fassunglos den Kopf.

Ich zucke mit den Schultern. „So ist das. Komplex. Verworren. Und das Letzte, was ich will, ist, diese Frauen deswegen zu verurteilen. Ich versteh’s halt einfach nicht.“
„Ich auch nicht“ meint Phil.
„Vielleicht, weil wir Jungs sind?“ frage ich, ohne eine Antwort zu erwarten.
„Wer weiß…“ meint Phil. „Vielleicht auch, weil verletzte Wesen in einer ganz eigenen Welt und Wahrnehmung gefangen sind, aus der sie nicht so einfach rauskommen…“
Erneut zucke ich mit den Schultern.

„Hast du gewusst, dass jede dritte Frau von in Deutschland von sexueller oder körperlicher Gewalt betroffen ist? Dass 25 Prozent aller Frauen sexuelle und/oder körperliche Gewalt in der Partnerschaft erleben?“ frage ich.
Der Vierbeiner schluckt. „Krass.“

Wir sitzen da und schweigen.
„Aber…“ fragt Phil schließlich „was kannst du dann überhaupt tun?“
„Nicht viel.“ antworte ich. „Zuhören kann ich. Hilfe anbieten. Die Hilfe von Profis anbieten. Vermitteln. Auf das Thema aufmerksam machen, indem ich mit dir darüber rede und was dazu schreibe. So wenig…“
„Vielleicht“ sagt Phil „ist das gar nicht so wenig. Vielleicht ist es ja ein echt wichtiges Ding, dass da Menschen sind, die einfach nur zuhören. Die darauf aufmerksam machen, dass Gewalt in Beziehungen echt ein Thema sind. Die zeigen, dass es Möglicheiten gibt, sich Hilfe zu holen…“
„Vielleicht…“

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